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Claudia Blöser: Immanuel Kant – 100 Seiten
Reclam Verlag Stuttgart, Ditzingen 2023
Rezension von Dietrich Pukas 23.01.2024

Die Autorin Claudia Blöser, Professorin für Philosophie an der Uni Augsburg, versteht es meisterhaft, uns Immanuel Kants vielseitige, anspruchsvolle Philosophie in ihrer einmaligen Vielfalt und Einheit zu erschließen, ohne dass wir dafür über besonderes Vorwissen verfügen müssen, so wie es die volkstümliche Reclam-Reihe der 100 Seiten anstrebt. In diesem Sinne können wir uns Kants maßgeblichen Fragen „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?“ hingeben und uns anhand seiner Methode der Kritik über unser Menschsein, unsere Freiheit und Verantwortung, Gott und die Welt aufklären lassen. Die Erkenntnisse, die wir dabei für unser Selberdenken gewinnen können, mögen uns auch in der aktuellen Krisensituation richtungsweisend sein, denn Kants Philosophie reicht bis zum politischen Ideal ewigen Friedens.  

Nach der eindrucksvollen Schilderung von Kants persönlichem, unstetigen Werdegang zum Philosophen und schließlich als Professor für Logik und Metaphysik an der Uni Königsberg geht es zur Hauptsache: zur Methode der Kritik, und zwar der Kritik der reinen und der praktischen Vernunft. Mit seiner Kritik der reinen Vernunft stellt Kant die klassischen Probleme der Metaphysik wie der Frage nach Gott, der Unsterblichkeit der Seele sowie der Freiheit des Menschen auf eine neue Basis. Und zwar bestreitet er den herkömmlichen Wissensanspruch für diese Begriffe, weil sie die Erfahrung mit sinnlicher Wahrnehmung überschreiten und deshalb reine Vernunfterkenntnis sein müssen, was jedoch nicht „die Lizenz zum Glauben“ aufhebt. Zur weiteren Bestimmung dieser Erkenntnisarten führt er das zentrale Begriffspaar „a priori“ und „a posteriori“ ein. So sind Urteile a posteriori gültig, weil ihre Begründung aufgrund von Erfahrung erfolgt, während Urteile a priori unabhängig von Sinneseindrücken geschehen, also vor der Erfahrung stattfinden. Im Rahmen seiner Transzendental-Philosophie stellt Kant dann fest, dass die Gegenstände unserer Erfahrung mit unserer Erkenntnis zusammenhängen, und untersucht die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung. So ergibt sich: Die Sinnlichkeit liefert die Anschauung der Gegenstände und unser Verstand die Begriffe, sodass aus deren Kombination die Erkenntnis folgt und Kant den berühmt gewordenen Satz geprägt hat: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ Sinnlichkeit und Verstand des Menschen müssen zusammen wirken, um Erkenntnis von Gegenständen zu produzieren, womit sich die jeweils einseitigen Positionen von Empirismus und Rationalismus versöhnen lassen.

Die Sinnlichkeit vermittelt uns die Anschauungsformen von Raum und Zeit, der Verstand liefert uns die reinen Verstandesbegriffe von Raum und Zeit, die sogenannten Kategorien a priori. Insofern existieren Raum und Zeit in Abhängigkeit von unserem Erkenntnisvermögen, sie gehören zur Art und Weise und fungieren sozusagen als Brille, wie wir die Welt betrachten. Raum und Zeit sind Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt und als solche nicht selbst Erfahrung, sondern Voraussetzungen oder Formen a priori. Dazu gehört gleichfalls die Kausalität als Verstandesbegriff. Die Ereignisse in der Welt erfahren wir als kausal nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung bestimmt. Das entsprechende Urteil a priori als ein Grundsatz des reinen Verstandes lautet daher: „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetz der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“. In dem Zusammenhang greift Kant das Problem der transzendentalen Deduktion auf, wie wir von den empirischen Begriffen der Erfahrungsgegenstände, die wir selbst in Auseinandersetzung mit denselben gebildet haben, zu einheitlichen Erfahrungen im Rahmen der Kategorien gelangen. Kants Argumentation dazu: Objektive Erfahrungserkenntnis entsteht, indem wir subjektive Wahrnehmungen einer Vielfalt miteinander zu einer Erfahrungseinheit verknüpfen und die Erkenntnis eines bestimmten Gegenstandes hervorbringen. Die verknüpften Wahrnehmungen müssen Erfahrungen ein und derselben Person sein, die sich durch Selbstzuschreibung ein Urteil bildet und die einheitliche Erfahrung zu Bewusstsein bringt. Das Fällen von Urteilen als Gebrauch der Kategorien ermöglicht wiederum einheitliche Erfahrung von Gegenständen und eine grundlegende Art des Selbstbewusstseins als eigene Identität über die Zeit hinweg. Somit erweist sich die einheitsstiftende Tätigkeit eines erkennenden Subjekts oder Ichs als Grundvoraussetzung des Erkennens, Denkens, Gestaltens der Gegenstände und der Welt.  
 
Des Weiteren befasst sich Claudia Blöser mit den Grenzen unseres Wissens als „Erscheinung und Ding an sich“ nach Kant. Nach den bisherigen Überlegungen erweist sich die Grenze möglicher Erfahrung als Grenze möglicher Erkenntnis. Erscheinungen sind die Gegenstände der Erfahrungen, die wir durch die „Brille der Anschauungsformen und Verstandesbegriffe“ sehen, notwendig in Raum und Zeit gegeben und durch die Kategorien determiniert sind. Das berühmte „Ding an sich“ ist irgendetwas außerhalb unserer Erkenntnisbedingungen, das sich unserem Wissen entzieht, wie die klassischen Gegenstände der Metaphysik „Gott, Unsterblichkeit, Freiheit“. Einzig die Grundsätze unseres Verstandes wie „Jede Veränderung hat eine Ursache“ oder mathematische Formeln und grundlegende physikalische Gesetze können beanspruchen, (synthetische) Urteile a priori zu sein und damit das zentrale metaphysische Kriterium zu erfüllen. Aber die Struktur der menschlichen Vernunft verlange, nach dem „Unbedingten“ zu suchen. Eine „Zwickmühle der Vernunft“ demonstriert Blöser am Beispiel der Freiheit: Es gibt keine Kausalität aus Freiheit, sondern nur ihre logische Möglichkeit und den Trost, dass unser freies Handeln nicht naturwissenschaftlich widerlegt werden kann. Aber es besteht noch die praktische Wende der Metaphysik: die Fortsetzung von Kants Kritik der reinen oder theoretischen Vernunft zur Kritik der praktischen Vernunft. Erstere wendet sich an uns als erkennende Wesen und macht darüber Aussagen, was der Fall ist und warum, während die praktische Vernunft sagt, was sein soll, und unser Handeln leitet.

Mit Letzterer zeigt uns Kant, dass wir tatsächlich frei sind, und zwar aufgrund seiner Moralphilosophie. Diese basiert auf der zentralen Idee, dass a priori ein gültiges Moralgesetz existiert, das notwendig und ausnahmslos, also kategorisch gilt. Das enthaltene unbedingte Sollen setzt nach einem grundlegenden Satz der Metaethik Können voraus. Das heißt, wir müssen fähig sein, dieser Verpflichtung auch prinzipiell nachzukommen. Wenn für uns ein Sollen verbindlich gilt, können wir demnach sicher sein, dass wir die Sollensforderung befolgen können. Also können wir uns bewusst sein, unabhängig von allen natürlichen Bestimmungen und Ursachen das moralisch Richtige zu tun, und das macht einen wesentlichen Aspekt unserer Freiheit aus. Dass moralische Gesetze kategorisch für uns gelten, nennt Kant das „Faktum der Vernunft“. Nach unserem Selbstverständnis als moralische Wesen sind wir uns folglich unserer Freiheit bewusst; auch wenn wir nichts über sie wissen, können wir an sie glauben und sie postulieren. So hebt Kant am Beispiel der Freiheit das Wissen auf, um zum Glauben vorzudringen. Praktische Gründe stützen den Glauben, der uns erlaubt, an der Idee der Freiheit festzuhalten, obwohl wir nicht beweisen können, dass wir frei sind. 

Mit dieser auf praktischen, moralischen Gründen fußenden Argumentation erklärt Kant ebenfalls, wieso der Glaube an Gott und Unsterblichkeit vernünftig ist. Demnach ist die praktische Vernunft auf ein Idealbild einer perfekt gerechten Welt ausgerichtet, in der alle Menschen so glücklich sind, wie sie es nach ihren moralischen Verhaltensweisen verdienen. Dieses nach Kant „höchste Gut“ müssen wir aufgrund unserer real existieren Welt für unmöglich halten. Dennoch dürfen wir das erhabene Moralgesetz nicht als Trugbild abtun und die Moral ins Wanken bringen, weil wir ihr unbedingt verpflichtet sind, sie grundsätzlich erfüllen und nach besten Kräften befördern können. Und wenn wir voraussetzen, dass Gott existiert, können wir auf unser verdientes Glück hoffen. Hier erwägt Kant verschiedene Varianten: Entweder teilt Gott jedem das Seine zu oder er hat die Welt so geschaffen, dass jedem das Seine zukommt. Für die Annahme der Unsterblichkeit gibt Kant zwei Gründe an: Zum einen können wir darauf vertrauen, dass irgendwann (auch nach dem Tod) alle ihren Anteil am Glück erhalten oder wir andererseits unendlich viel Zeit brauchen, um moralisch perfekte Personen zu werden. Insofern das zutrifft, sind der Glaube an Gott und Unsterblichkeit eng mit unserem praktischen, moralischen Selbstverständnis verbunden. Die Lizenz an diesen Glauben schließt das Prinzip der Hoffnung ein. Die beiden fundamentalen Ziele des menschlichen Lebens – Glück und Moral – können in Konflikt miteinander geraten, sodass sich ihre Vereinbarkeit als unsicher erweist und wir auf ihre Harmonie als höchstem Gut hoffen müssen. Das ist für Kant die Hoffnung auf die eigene Glückseligkeit, die alle Menschen teilen. Die kritische Nachfrage, ob wir für die Umsetzung davon den göttlichen Beistand brauchen, berührt nach Autorin Blöser nicht Kants Grundidee des Zusammenspiels von theoretischer und praktischer Vernunft, wobei er Letzterer die Führung einräumt. Als wesentlich handelnde Personen müssen wir uns in der Welt orientieren und wissenschaftliche, theoretische Erkenntnisse gewinnen, die sich oft nicht bestätigen, aber auch nicht widerlegen lassen. Daher können unsere praktischen, moralischen Belange dafür entscheidend sein, was wir über die Welt glauben. 

Im vorliegenden Buch über Kants umfangreiches Werk geht es im Folgenden weltlicher zu und die höchste Zielvoraussetzung wartet nicht erst nach dem Tod auf uns, sondern zum Beispiel als politische Hoffnung, der wir als politisches Ideal konkret näher kommen wie Verbesserung durch Bekämpfung von Armut und Unterdrückung. Zunächst befasst sich Claudia Blöser mit Kants Moralphilosophie „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ und betrachtet diese aus der Perspektive „Freiheit und moralisches Gesetz“. Und zwar setzt Kant mit seiner Ethik beim Subjekt an, welches das Sollen, das für alle verbindlich gelten soll, selbst zustande bringt. Dafür setzt er den guten Willen der Person voraus, die nicht nur pflichtmäßig, sondern aus Pflicht handelt. Das heißt, moralisches Handeln wird aus richtigen Gründen, ein Gesetz achtend, jedoch auch aus Neigung vollzogen. Das Moralgesetz tritt immer als Imperativ auf, und zwar kategorisch als moralisches Prinzip a priori, das rein formal ist ohne empirische Bedingungen: Handle nur nach derjenigen Maxime als Grundsatz, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Das menschliche Handeln nach Maximen begründet unsere Freiheit und macht unseren Charakter aus, indem wir selbst entscheiden, ob und wann eine Neigung handlungswirksam wird, statt einfach impulsiv zu sein. Indes müssen wir unsere Maximen kritisch auf Widersprüche prüfen, wenn sie allgemeine Handlungsregeln sein sollen. In der weiteren Differenzierung der Problematik geht es noch um die Zweckformel, nämlich Gebrauch einer Person als Mittel und Zweck, sowie die menschliche Autonomie der Selbstgesetzgebung und gleiche Würde aller Menschen zu freien moralischen Entscheidungen. Kants Ethik ist als leerer Formalismus oder ebenfalls als Rigorismus z. B. vom Philosophen Hegel kritisiert worden, jedoch beispielsweise von Jürgen Habermas für seine Sozialtheorie als Anknüpfpunkt aufgenommen worden.

Nachdem Kant in seinen Kritiken die Reichweite und Grenzen der menschlichen Vermögen oder Hauptfähigkeiten bestimmt sowie deren Prinzipien a priori aufgezeigt hatte – nämlich für die Sinnlichkeit die Anschauungsformen, den Verstand die Verstandesbegriffe, die Vernunft das Moralprinzip a priori –, widmete er sich der Kritik der Urteilskraft und suchte dafür gleichfalls Prinzipien a priori, was Blöger in einem Kapitel „Das Schöne und Erhabene, das Lebendige und die Brücke zwischen Natur und Freiheit“ abhandelt. Für seine Kritik der Urteilskraft entwarf Kant eine ästhetische Theorie über das Schöne und das Erhabene, eine Theorie über das Lebendige als Beitrag zur Forschungslogik der Biologie sowie eine Theorie über die Verbindung zwischen Natur und Freiheit. Die Urteilskraft bedeutet für Kant die Fähigkeit, das Besondere im Allgemeinen zu denken und zu erkennen. Er unterscheidet die bestimmende Urteilskraft als Vermögen, die Mannigfaltigkeit der Sinnlichkeit oder Anschauung unter die allgemeinen Ordnungsmuster, Begriffe und Grundsätze des Verstandes zu ordnen, sowie die reflektierende Urteilskraft, zu einem gegebenen Besonderen das Allgemeine als je eigenes Prinzip a priori zu finden. Und das ist das Prinzip der Zweckmäßigkeit, und zwar in dem Sinne einer gewissen Harmonie, dass Teile zu einem einheitlichen Ganzen zusammenstimmen. In Kants Ästhetik und Naturteleologie ist es die Idee, dass die Natur und unser Erkenntnisvermögen zueinander passen. Wohlgefallen und Interessenlosigkeit des Subjekts sind der Schlüssel zu einem Schönheitsurteil. Wenn dieses Geschmacksurteil von allen geteilt werden soll, müssen Verstand und Einbildungskraft bei Betrachtung des Gegenstandes in Harmonie Lust entfalten als allgemeines Lebensgefühl, das einem Gemeinsinn entspricht, was beispielsweise für die Üppigkeit der Gegenstände verschwenderischer Natur oder geniale Kunstwerke gilt. Dabei vergnügen sich Verstand und Einbildungskraft im ungezwungenen Spiel frei von begrifflichen Zwängen und ihrer Aufgabe, Erkenntnis zu erzeugen. Kant bringt den Bezug zwischen Geschmacksurteil und Freiheit bzw. Moral nach Blöser auf die Formel „Das Schöne ist Symbol des Sittlich-Guten“. Wir erleben nämlich aufgrund der „ästhetischen Beurteilung im Medium der Anschaulichkeit und gefühlsmäßig die Freiheit, deren Begriff in der Moral vorausgesetzt wird“. Mit dem Urteil über das Erhabene ist es ähnlich: Im Fall der Schönheit kommt es auf das zweckmäßige Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand an und beim Erhabenen von Einbildungskraft und Vernunft. Der wesentliche Unterschied zum Schönheitsurteil besteht darin, dass die Erfahrung des Erhabenen durch ein gemischtes Gefühl aus Lust und Unlust charakterisiert wird. Als Beispiel kommt die Erfahrung der Machtlosigkeit angesichts von Naturgewalten in Frage, die einerseits Unlust erzeugt und gleichzeitig eine Kraft in uns anregt, uns einer Überlegenheit über die Natur bewusst zu werden. Das ist unser moralisches Vermögen, nämlich die Freiheit, uns Menschen von der Naturordnung unabhängig zu machen. Es handelt sich dabei um subjektive Zweckmäßigkeit der Erkenntniskräfte des Subjekts.

Eine objektive Zweckmäßigkeit schreibt Kant den Objekten selbst zu und erklärt die Natur teleologisch oder zielgerichtet in dem Sinne, dass wir Organismen nur als Naturzwecke verstehen. Das heißt: Ein Ding existiert als Naturzweck, wenn es in sich Ursache und Wirkung zugleich ist, z. B. wenn ein Baum einen anderen erzeugt, wodurch sich Organismen von rein mechanischen Gegenständen wie einer Uhr unterscheiden. Ein organisiertes Wesen ist nicht bloß Maschine, sondern hat bewegende und sich fortpflanzend bildende Kraft. Insofern liegt es in der Eigenart des menschlichen Verstandes, in seiner Naturbetrachtung sowohl mechanisch-kausale als auch als auch teleologische Erklärungsmuster anzuwenden. Und deshalb führen Kants Reflexionen über Organismen zur Zielvoraussetzung eines „nach Absichten handelnden Wesen als Weltursache, also zu Gott und wir können nach der Zweckmäßigkeit der Natur als Ganzes fragen und schließlich, ob die Welt als Ganzes einen Zweck hat. Dieser letzte Zweck der Natur oder die zweckmäßig eingerichtete Welt ist unter der Bedingung möglich, dass sie ein geordnetes System als Hierarchie von Zwecken bildet. Und dieser Endzweck der Welt ist nach Kant der Mensch als „Krone der Schöpfung“. Hier stellt Blöser von heutiger Warte zurecht fest, dass man dies hinsichtlich der Unterwerfung und Ausbeutung der Natur als Ausdruck menschlicher Selbstüberschätzung oder Versuch philosophischer Legitimation werten und gegenüber diesem Anthropozentrismus mit dem Menschen als Maß aller Dinge im Zentrum eine bescheidenere Haltung anmahnen könnte, die der gebeutelten Natur zu ihrem Recht verhilft. Jedoch stellt die Autorin klar, dass der Mensch „nicht per se Endzweck“ ist, „sondern nur als moralisches Wesen“, was Kants Position die Spitze nimmt und sie für uns annehmbarer macht. Der Mensch als moralisches Wesen steht nicht außerhalb der Natur, sondern ist als ihr Teil zu verstehen ist. Daher ist die Natur von ihrer eigenen Struktur her der Moral zuträglich und die Moral wird durch Natur befördert und kann in der Welt verwirklicht werden.  

All das, was ich hier im verkürzten Umfang und Zusammenhang dargestellt habe und im Original differenzierter, anschaulicher und verständlicher dargelegt ist, kann man als Erkenntnis-Grundlage nehmen, um philosophisch überzeugend das Kapitel zu betrachten, das Claudia Blöser dankenswerter Weise ins Buch aufgenommen hat und uns in der krisenhaften , von grausamen Kriegen erschütterten Gegenwart wahrscheinlich am meisten interessiert oder in der Seele brennt: „Politik und Fortschritt – Der Weg zum ewigen Frieden“. Kant nahm regen Anteil am politischen Geschehen seiner Zeit, die Französische Revolution von 1789 war ein Lieblingsthema in seinen Tischgesprächen, weil er sie als „Geschichtszeichen“ für den moralisch-politischen Fortschritt verstand, allerdings schwor er jeglicher Gewaltanwendung ab und setzte sich in seinen Schriften für den Frieden ein. Dieser durfte für ihn kein Waffenstillstand sein, sondern musste in einer dauerhaften Friedensordnung bestehen, die auf gesetzförmig geregelter Freiheit beruhte und im Staatsrecht, Völkerrecht und Weltbürgerrecht verankert ist. Die tragende Säule seines Staatsverständnisses stellt das angeborene Recht auf Freiheit dar und insofern kann Kant als Vordenker für die Menschenrechte gelten. Denn aus dem Recht auf Freiheit folgen unmittelbar die Gleichheit und Selbstständigkeit der Staatsbürger sowie die Meinungsfreiheit. Und dem Freiheitsrecht entspricht die republikanische Verfassung, die unserer heutigen Auffassung von repräsentativer Demokratie mit der Selbstgesetzgebung der Bürger nahekommt. Kants Staatstheorie war wegweisend für den politischen Liberalismus, indem Herrschaft auf Freiheit als angeborenem Recht gegründet wird und sich der Staat dadurch legitimiert, dass er individuelle Freiheitsrechte sichert. Indes legte Kant dem Volk bei ungerechter Herrschaft ein Widerstandsverbot auf, da Rebellion und Anarchie schlechter seien als jede Form staatlicher Organisation. Das Völkerrecht enthält Normen, die den Krieg regeln, bis er vollständig abgeschafft ist. Den eigentlichen Kern dieses Rechts bildet die beständige rechtliche Ordnung zwischen den Staaten, die ein Völker- oder Friedensbund gewährleisten soll. Ein solcher bestand vom Ersten Weltkrieg 1919 bis zum Zweiten 1944, als Nachfolgeorganisation versucht seitdem die UNO im Sinne Kants die Erhaltung der Freiheit der Mitgliedsstaaten, friedliche Streitschlichtung sowie den Schutz der Menschenrechte zu sichern. Dazu ist ein schwieriger Balanceakt zu vollführen: Einerseits bedarf es genügender Verbindlichkeit, um Staaten am Krieg zu hindern, andererseits darf die innere Autonomie der Staaten nicht eingeschränkt werden und eine Zusammenschmelzung zu einer globalen Supermacht muss verhindert werden. Über das Staats- und Völkerrecht hinaus hatte Kant die Idee des Weltbürgerrechts, dass Individuen auch noch Mitglieder einer globalen Rechtsgemeinschaft sind und ein Besuchsrecht auf fremden Boden haben sollten. Laut Blöser begründet Kant de facto ein Asylrecht, wenn er fordert, dass ein Besucher nur abgewiesen werden kann, wenn dies nicht seinen Untergang bedeutet. Gleichzeitig soll mit der Beschränkung des Gastrechts auf bloßes Besuchsrecht kein Recht der Ansiedlung auf dem Boden eines anderen Volkes erworben werden, um ausufernden Kolonialismus und ausdrücklich Sklaverei zu verhindern.

Schließlich fragt Blöser, ob es unhaltbarer Optimismus ist, wenn Kant seine Friedensschrift mit der Beteuerung endet, dass der ewige Frieden keine leere Idee, sondern eine Aufgabe ist, deren Erfüllung wir uns annähern können und müssen. Denn Kant nimmt an, dass die menschliche Geschichte ein Ziel hat und gibt die Bedingungen an, unter denen wir dies erwarten können, womit er die Grundlage für die Geschichtsphilosophie des Deutschen Idealismus schafft. Zwar sagt er, dass wir den Fortschritt nicht erkennen können, jedoch dürfen wir hoffen, dass wir auf dem Weg zum ewigen Frieden sind. Seinen Fortschrittsglauben gründet er zum einen auf den negativen Eigenschaften und dem zwiespältigen Verhältnis der Menschen zueinander wie Neid, Eifersucht, Habsucht, Arroganz und gewinnt ihnen als positive Seite Antriebskraft für die Entfaltung menschlicher Fähigkeiten und Talente ab, insofern Kampf und Not zu ihrer eigenen Überwindung drängen. So unterstütze die zwiespältige Naturanlage des Menschen die Bildung staatlicher Gemeinschaften, in denen das Gegeneinander derart geregelt werde, dass die aufbauenden Effekte zum Wirken kommen. Außerdem führt Kant weitere natürliche Mechanismen für den Fortschritt ins Feld: 1. die friedensfördernde Struktur von Republiken, da die Staatsbürger sich gegen Kriegsleiden entscheiden; 2. die Tendenz des Handels zur Friedensbegünstigung; 3. die Funktion der Kontrolle durch die politische Öffentlichkeit. Zwar bergen die Veränderungen auch Sprengstoff für Konflikte, aber das ist kein Beweis gegen die Möglichkeit des ewigen Friedens und wir können unser Bestes geben, um ihn Schritt für Schritt zu realisieren. Denn wenn wir ein Ziel verfolgen, müssen wir vernünftiger Weise annehmen, dass seine Verwirklichung nicht unmöglich ist, und das heißt hoffen und gibt uns mentale Stärke. Das gilt heutzutage für unser Handel angesichts der Klimakatastrophe: Die Menschheit muss hoffend kooperieren, um für das Gelingen und unsere Zukunft kollektiv erfolgreich zu sein. Indes ist das nach Kants Ethik des guten Willens auch moralisch von uns allen gefordert. 

Kants Leitidee zur Umsetzung: Aufklärung und die Befreiung von Vorurteilen, Selbstdenken und selbstbestimmte Lebensführung in funktionsfähigen Demokratien. Dazu kann das Buch von Claudia Blöser beitragen und ich hoffe als Neukantianer, dass ich mit dieser Rezension dazu anregen kann.


Rainer Moritz: Udo Jürgens – 100 Seiten
Reclam Verlag Stuttgart, Ditzingen 2023
Rezension von Dietrich Pukas 29.06.2023

Der völlig überraschende Tod von Udo Jürgens am 21.12.2014 erschütterte die Welt, jedenfalls mächtig den Autor des vorliegenden Buches Rainer Moritz, namhafter Essayist, Literaturkritiker und Udo-Jürgens-Kenner, sowie nicht minder mich selbst, der ich nun diese Rezension des gelungenen Werkes verfasse. Nur knapp 3 Monate nach seinem 80. Geburtstag, 2 Monate nach seiner brillanten Fernseh-Jubiläums-Show und 2 Wochen nach seinem letzten Konzert seiner Tournee „Mitten im Leben“ in Zürich starb Udo plötzlich auf einem Spaziergang am Bodensee in Münsterlingen/Schweiz. Mich traf die Nachricht schlagartig unmittelbar nach Bekanntwerden am Radio, als ich den Reisebericht meines Baltikumbesuchs schrieb, und ich war zutiefst ergriffen und betrübt, denn Udo war für mich das leibhaftige, ewig junge Vorbild zum Altwerden – seit ich ihn als 30-Jähriger bei einem Sommerurlaub in Velden am Wörthersee 1971 persönlich kurz, aber hautnah nach Mitternacht an der Theke im Hubertushof kennengelernt hatte. Und eine gleichsam wiederholende Betroffenheit richtete in mir jetzt das Buch von Rainer Moritz an, als ich dort las, dass es ihm, dem vertrauten Udo-Fan seit Jugendtagen, mit dem „Götterliebling“ ganz ähnlich erging wie mir. Da wir uns in der typischen Kneipenatmosphäre duzten, rede ich seitdem von Udo vorwiegend nur mit Vornamen und mache das auch hier; ich bin überzeugt, es ist in seinem Sinne.

Indes zog mich Moritz vor allem in seinen Bann damit, wie er gekonnt und feinsinnig Udos Charakter analysiert, detailliert seine Lebensumstände schildert, meisterhaft seine Lieder interpretiert und die ganze Lebensmannigfaltigkeit dieses beispiellosen Ausnahme-Künstlers zum Mitfühlen entfaltet. Meine literarische Udo Jürgens-Faszination beschränkte sich bislang auf seine Autobiografie „Unterm Smoking Gänsehaut“ von 1994 und den Film über seine Familiengeschichte „Der Mann mit dem Fagott“ von 2004. Erstere inspirierte mich dazu, bei einem Zürich-Besuch das Corso-Haus am Bellevueplatz aufzusuchen und vom zufällig davor aufgebauten Riesenrad aus hoch oben einen wunderbaren Blick auf Udos Penthaus zu genießen. Und vom Film war ich so beeindruckt, dass ich mir erlaubte, in einem Kärnten-Urlaub den Bokelmannschen Familiensitz Schloss Ottmanach bei Klagenfurt in Augenschein zu nehmen. So erinnerte ich mich gerne an Beides bei der Lektüre von Moritz‘ aufschlussreichem Buch, während ich seine treffenden Ausführungen über Udos Musik aufgrund von Livekonzerten, Fernseh- und Rundfunkübertragungen, Tonträgerdarbietungen zustimmend nachempfinden konnte. Allerdings die offenbarten Informationen über das Agieren und die Strategien der Manager Hans R. Beierlein und Freddy Burger sowie die namhaften Texter etlicher Songs und ihren Einfluss auf Udos Erfolg waren für mich doch größtenteils überraschend und Neuland, jedoch sehr interessant, besonders weil Udo seine Identität und Glaubhaftigkeit bis zum Schluss voll wahren konnte. Und seine Wahrhaftigkeit von Künstler- und Menschsein, seine große Offenheit gegenüber Privatem und Affären machten ihn zum Publikumsliebling, dem man nichts dauerhaft übel nahm und der ebenfalls Politiker, Schriftsteller und die „nachrückende Musikergeneration“anregte.

In diesem Sinne war es für mich angenehm und amüsant, den beschriebenen holprigen Karriereweg, begleitet von „Chrysanthemen, Gin und Knarren“ zu verfolgen – von den ersten Liedern ohne eigene Note über Seeleute, Indianer, Cowboys (Country-Welle) und seinem ersten Erfolgssong „Jenny“ auf dem belgischen Gesangsfestival in Knokke 1960. Zudem debütierte Udo als Filmschauspieler in Schlager- und Schnulzenfilmen, die auch in der Kulisse des Wörthersees gedreht wurden. Da internationale Stars wie Sacha Distel oder Bing Crosby, Opernsänger wie René Kollo oder Anneliese Rothenberger Udo Jürgens-Kompositionen aufnahmen, sah es zunächst so aus, als wenn er eher als Komponist denn als Interpret Karriere machen würde. Eindrucksvoll war schließlich sein Durchbruch mit „Merci Chérie“ 1966 beim „Grand Prix Eurovision de la Chancon“ in Luxemburg, wo Udo für Österreich antrat und was Moritz ausführlich als Meilenstein beschreibt und interpretiert: Udo als Sänger vom Leid der Liebe, des Abschieds und der Trennung. Um 1970 erhält er ein neues Etikett „Happy Udo“ mit Liedern wie „Anuschka“, „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“, „Es wird Nacht Senorita“. Udo geht erfolgreich 1969 auf Europa-Tournee, 1970 erscheint das großformatige „Udo-Jürgens-Songbuch“, 1971 noch überboten vom populären Sammelband „Warum nur, warum? Das Phänomen Udo Jürgens“. Udos Ruhm geht über normale Anerkennung hinaus, mit seiner Wirkung beschäftigten sich Feuilletonisten, Musikwissenschaftler, Soziologen, Theologen. Er gilt als „Solitär der Branche, der zwar eingängige Schlager schrieb, aber nicht als Schlagersänger galt“. Dieser Spagat gelang ihm viele Jahre, für das Publikum machte er nicht Musik – er war sozusagen Musik!

Allerdings bekam auch Udo etwas von der damaligen Schlagerkritik als seichte Musik zur Volksverdummung mit systemstabilisierender Wirkung für den Kapitalismus und mit Bezug auf Theodor W. Adornos Vorlesungen zur Musiksoziologie ab. Doch seine Kompositionen und Texte gingen mit Gesellschafts- einschließlich Kirchen- und Papstkritik („Udo 70“) über die übliche „Herzschmerzwelt“ hinaus und tendierten eher ins Chansonlager. Markante Beispiele sind „Wer ist er?“ (1968) auf der Suche nach dem kosmologischen Gottesbeweis sowie „Gehet hin und vermehret euch“ (1988) gegen die Haltung der katholischen Kirche zur Empfängnisverhütung und Überbevölkerung. Das trug zu Udos beständiger Publikumsgunst und zum Sieg über die Skeptiker bei und stabilisierte seinen Ruhm als Ausnahme-Talent, das heißt: Unterhaltungskünstler als Weltversteher und Weltverbesserer. Moritz bietet mit einem Zitat von Günther Hunold einen unübertroffenen Höhepunkt der Interpretation: nämlich dass Udo Jürgens in seinen Konzerten mit Orgien-Charakter den Zuhörern einen künstlerisch gestalteten pausenlosen Orgasmus vermittele, wie man ihn sonst nicht erlebe. Im übrigen veranschaulicht und kontrastiert Moritz seine Favoriten-Darstellungen von Udos Person und Werk immer wieder reizvoll mit den Liedern bekannter Schlagersänger/-innen wie Gilbert Bécaud, Harry Belafonte, France Gall, Alexandra, Roy Black, Peter Alexander, Roland Kaiser, Helene Fischer und vielen anderen, deren „Ohrwürmer“-Songs einem im Gedächtnis sind und Udos Besonderheit demonstrierend verstetigen.

In einem ausführlichen Kapitel befasst sich Moritz mit Udo Jürgens als Gesellschaftskritiker. Das begann mit „Babuschkin“ (1970) als Antimilitaristen, gefolgt von „Lieb Vaterland“ (1971), das sich – geprägt vom Studentenaufbruch der 1968er – gegen einen Ellbogen- und Haifischkapitalismus (Text vom Drehbuch- und Kabarettautor Eckart Hachfeld) wendet. Der kämpferische Text, vom Millionär und Österreicher Jürgens als Systemkritiker vorgetragen, sorgte für Furore und wurde von konservativen Publizisten und Anderen wie Elfriede Jelinek als „Ritt auf der linken Zeitgeistwelle“ gegeißelt, während das Publikum ihm auch das als Mahner abnahm. So kann er weiter gern gehört werden und erfolgreich gesellschaftliche Missstände anklagen wie in „Tausend Fenster“ (1968) die Großstadt-Einsamkeit im Häusermeer und im Laufe der Zeit alles, was zu kritisieren ist: atomare Bedrohung in „Am Tag davor“, übermäßigen Fernsehkonsum in „Die Glotze“, architektonische Sünden in „Schöner wohnen“, Arbeitsplatzrationalisierung in „Gefeuert“, Lebensmitteldiscounter in „Tante Emma“, Umweltzerstörung in „5 Minuten vor zwölf“ oder Digitalisierung in „Der gläserne Mensch“. Dazu konstatiert Moritz: Das wurden selten große Hits, jedoch blieben sie fester Bestandteil seiner Konzerte und konnten dem Publikum das Gefühl vermitteln, „keinem bloßen Heile-Welt-Abend beigewohnt zu haben“. Zu Bestsellern und Evergreens avancierten hingegen „munter getextete und rhythmisierte“ Lieder wie „Aber bitte mit Sahne“ (1976) als Warnung vor Wirtschaftswundervöllerei, „Ein ehrenwertes Haus“ (1975) als Anprangerung falscher bzw. Doppelmoral, „Griechischer Wein“ (1974) als Gastarbeiter-Problematik. Der treffende Kommentar von Moritz zusammengefasst: Angesichts der Kanzlerschaft Willy Brandts galt „Udo Jürgens als Sprachrohr des sozialliberalen Aufbruchs“, und zwar weil das Kritische in seinen Liedern anschlussfähig war, nämlich nur soweit ging, wie es dem gesunden Menschenverstand und Empfinden des Normalbürgers entsprach. Sofern in den Songs Auswege thematisiert sind, bleiben sie schlagerkonform vage und präsentieren Träume, Hoffnungen, Sehnsüchte. Den angebotenen Rückzug auf Freundschaft und Liebe, ins private Glück nennt Moritz „konsensfähigen Eskapismus“, während Udo und seine Fans der diesbezügliche Mittelmaß-Vorwurf nicht angefochten hat.

Udos gesellschaftskritischem Engagement sowie seiner Kontaktanbahnung zur Bonner und Wiener Politikwelt stellt Moritz als „größten Missgriff des Jürgens-Oevres“ das Schnulzenlied „Buenos Dias Argentina“ (1978) gegenüber. Denn wie kein anderer seiner Fußballschlager reiht es Klischees von lieblichen Gitarrenklängen bis zur Völkerfreundschaft aneinander ohne Rücksicht darauf, dass das reale Argentinien seit 1976 von einer diktatorischen Militärjunta beherrscht und unterdrückt wurde. Für Moritz erweist es sich als Zynismus der Schlagergeschichte, dass ausgerechnet diese Langspielplatte als erfolgreichste Platz 1 der Charts erreichte und über 1 Million Mal verkauft wurde, während der Gesang zusammen mit Udo der deutschen Nationalelf kein Glück brachte, worin Moritz eine Art höhere Gerechtigkeit sieht und was ich als Nicht-Fußballfan verstehen kann. Und ich begrüße, dass im Buch ein längeres Kapitel über „die kleinen Dinge des Lebens“ des Geschichtenerzählers Udo Jürgens in den 1980er Jahren folgt. Dazu gehören Lieder, die Klassiker-Statur erlangten wie „Gaby wartet im Park“ (1981), eine Geschichte voller widerstrebender Gefühle, in der ein verheirateter Mann, der eine Liebschaft mit Gaby hat, mit sich ringt, die im Park Wartende nicht wieder zu sehn. Oder „Ich war noch niemals in New York“ (1982), ein Alltagsereignis im Kleine-Leute-Milieu, wo ein Familienvater abends im neon-hellen Treppenhaus auf dem Weg zum Zigarettenautomat angesichts von Bohnerwachs und Spießigkeit minutenlang seiner Sehnsucht nachhängt, endlich einmal einen verrückten spontanen Aufbruch zu wagen, um „wirklich frei zu sein“, um nach New York, Hawaii oder San Franzisco zu entfliehen, es aber bleiben lässt. In „Liebe ohne Leiden“ (1984) singt Udo mit seiner Tochter Jenny ein wärmendes Trostlied zum Abschied, um ihr gute Wünsche auf den beginnenden Lebensweg außer Haus mitzugeben. Mit „Ich schrieb nie ein Lied für Karin“ (1979) übt Udo ein wenig Selbstanklage für Versäumtes, füllt jedoch nachträglich geschickt die Lücke, indem er andeutet, wie schön es geklungen hätte, was er allerdings der Fantasie des Zuhörers überlässt. Zu diesen „leisen Liedern“, wie Moritz sie tituliert, führt er u. a. auch „Im Kühlschrank brennt noch Licht“ (1991) auf als mitternächtliche Szene, wo ein verlassener, einsamer Mann in eisiger und seelischer Kälte vor dem geöffneten Kühlschrank sitzt und als einzigen Trost die Lichtquelle darin betrachtet. Das Kühlschranklicht als letzter Trostspender und die Kühlschrankkälte als Kontrast zur Wärme der Liebe – das ist der Gipfel unendlicher Tristesse. Diese realitätsnahen Songs, die nicht nur ungetrübtes Schlagerglück verheißen, sondern auch Alltagskümmernisse und Lebensenttäuschungen aufgreifen, sind es nach Moritz, die Udos Werk dauerhaft populär machen, und nicht sein ehrgeiziges 35 Minuten umfassendes Projekt, die Dichtung „Die Krone der Schöpfung“ (1999), in der die Menschen als Giganten der Verschwendung und Überheblichkeit angeprangert und ermahnt werden, obwohl es die legendären Berliner Philharmoniker und Mario Adorf eingespielt und klassisch geadelt haben. Als ruhmreich für Udo führt Moritz noch ins Feld: die ARD-Show „Leben für die Lieder“ zu seinem 70. Geburtstag (2004) und die Geburtstagsfeier zu seinen Ehren anlässlich des 80. (2014). Indes strebte Udo noch zu künstlerisch höheren Weihen, indem er mit 18 seiner Lieder das Musical „Helden, Helden“ schuf, das mit bescheidener Resonanz 1972 im „Theater an der Wien“ uraufgeführt wurde. Mehr Anklang fand das Udo und seinen Songs gewidmete Musical „Ich war noch niemals in New York“, das nach seiner Premiere 2007 im Hamburger TUI-Operettenhaus dort jahrelang lief.

Zum Schluss des Buches stellt Moritz die Frage „Was bleibt?“: ein authentischer Lieblingskünstler, dessen populäre Songs 9 Jahre nach seinem Tod ungebrochen gerne gespielt und gehört werden, dessen Andenken in treuen „Udo-Jürgens-Clubs“ gepflegt wird und zu dessen origineller, pompöser Grabstätte auf dem Wiener Zentralfriedhof Scharen von Fans pilgern, was ich auch noch vorhabe, obwohl Rainer Moritz das monströse Grabmahl als schwerer verhüllter Marmor-Flügel gar nicht gefällt, weil es wenig mit dem Auftreten des Sängers zu Lebzeiten gemein habe. 


Juliana Goschler: Sprachbildung für alle – Eine Streitschrift Dudenverlag Berlin 2023, ISBN 978-3-411-75683-4, 82 S., 10 € Rezension von Dietrich Pukas 25.02.2023

Streiten sollte man für das, was im vorliegenden Buch steht, weil es vernünftig und angemessen ist sowie als Einsicht weit verbreitet und umgesetzt werden sollte. Als zentrale These des wichtigen, aufschlussreichen Debatten-Bandes geht es darum, dass grundlegende Sprachfähigkeiten die Voraussetzung für eine aktive Teilhabe der Bürger am gesellschaftlichen Leben und beruflichen Erfolg bilden. Dazu müssen allen Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen geeignete Bildungsprozesse ermöglicht werden, die den Erwerb adäquater Sprachkompetenzen sichern. Das erweist sich als schwieriges Komplexvorhaben, das die Beteiligung und Mitwirkung der betroffenen Eltern, Erzieher/-innen, Lehrer/-innen, Sozialarbeiter/-innen sowie politisch Verantwortlichen erfordert. In erster Linie muss dies als gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Bildungsinstitutionen: Kitas, Schulen, Hochschulen, Stätten der Berufsbildung, Einrichtungen der Weiterbildung begriffen, unterstützt, gefördert, nicht zuletzt finanziert werden.

Folgerichtig, ausführlich und versiert befasst sich die Autorin in dem Buch mit der didaktisch-methodischen Umsetzung dieses Mammutanliegens. Als Professorin für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Oldenburg erweist sich Juliana Goschler in Forschung, Lehre und Veröffentlichungen als Expertin für sprachsensiblen Fachunterricht und Lehramtsausbildung. Und sie verfolgt den richtigen und wirksamen Lösungsansatz, nämlich die in unserer modernen Welt unverzichtbare, existenziell notwendige Bildungssprache im Fachunterricht, die speziellen sprachlichen Fähigkeiten in fachspezifischen Zusammenhängen zu vermitteln und zu trainieren. Jedenfalls kann ich das als langjähriger Deutschlehrer und Referendarausbilder in technischen Berufsschulen und weiterführenden beruflichen Schulen voll bestätigen.

Juliana Goschler beschreibt treffend die Problematik und das sprachliche Erfordernis, sich jeweils in verschiedenen sozialen Situationen, im Familien- und Freundeskreis, Freizeitbereich, in Schule und Berufsausbildung, Geschäfts- und Arbeitswelt passend auszudrücken, um gesellschaftsfähig und beruflich erfolgreich zu sein. Dazu muss man über Alltags- und Vulgärsprache, Jargon und originelle Jugend- bzw. Cliquensprache, Dialekte, lässige Sprechsprache hinaus die gehobene Bildungssprache und das gute Schriftdeutsch beherrschen. Letzteres lernen nicht alle je nach familiärer Herkunft, sozialer Schicht oder mit Migrationshintergrund optimal von klein auf im Elternhaus oder vorschulischen Einrichtungen, sondern oft und lückenhaft erst unter Schwierigkeiten in der Schule. Aber ein differenzierter Sprachgebrauch mit großem Wortschatz, in korrekten Sätzen und Satzgefügen entscheidet über fachlich gute Schul- und Prüfungsleistungen, auch in den zukunftsträchtigen MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. In der Arbeits- und Berufswelt kommt es ebenfalls auf die Kenntnis domänen- und fachspezifischer Sprache zur Kommunikation unter Fachleuten an. Statt einfachem Zeigen, Vormachen und Verständigen in Satzfragmenten bei zerlegten Arbeitsvorgängen am Fließband, die zunehmend durch Mechanisierung, Automation, Digitalisierung, maschineller Vernetzung erledigt werden, sind Zusammenhangswissen und präzise Ausdrucksweise gefragt: Sprachhandlungen, die auf dem Verstehen und Produzieren von Fachtexten beruhen wie Fehlermeldung, Ablaufdokumentation, Aufgabenbeschreibung, Bericht, Protokoll, Antragstellung, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Durch diese Verhältnisse erweist sich das Bildungsbürgertum bevorzugt und Goschler stellt vorhandene soziale Ungerechtigkeit fest, während andererseits Fachkräftemangel existiert. Deshalb fordert sie meines Erachtens streitbar zu Recht, dass Sprachenlernen und Sprachbildung nicht weiter überwiegend als Privatsache und Familienangelegenheit angesehen werden dürfen, sondern dass eine bessere öffentliche Sprachförderung der Benachteiligten durch das Bildungssystem eine dringliche Staatsaufgabe ist.

Der Autorin ist ferner in ihrer Argumentation zuzustimmen, dass sie in einem kurzen Exkurs die Mehrsprachigkeit und das Fremdsprachen-Lernen nicht als relevanten Teil des angesprochenen allgemeinen Sprachproblems erörtert und in dieser Beziehung typische Vorurteile gegenüber Migranten widerlegt. Sinnvoll und informativ erweist sich die Unterscheidung der Sprachmerkmale von gesprochener und geschriebener Sprache hinsichtlich Wortwahl und Satzbau. Da wird die Alltagssprache für die dialogische Kommunikation im Gespräch als einfacher Sprachgebrauch charakterisiert, während die Bildungssprache die Brücke zur Fachsprache herstellt. Aufschlussreich wird an Beispielen wie „Zelle, Kern, Kopf, Stern, Arbeit, Zapfen, Hahn oder Sitz“ veranschaulicht, wie diese in der Alltagssprache und in den Fachsprachen unterschiedliche Bedeutung haben. Daneben gibt es den spezifischen Fachwortschatz, der mit seiner Bedeutung direkt mit dem Fach verknüpft ist und dort gelernt wird: „Mitochondrium, Elektron, Gastritis, Galaxie, Knagge, Melaminharzdekor oder Überhangsmandat“. Außerdem weisen die Fachsprachen grammatische Eigenheiten auf wie Nominalisierung, Passiv-Konstruktionen, Bevorzugung der Zeitform Präsens in Naturwissenschaft oder Technik.

Damit können sich die Experten rationell und eindeutig verständigen, jedoch in der Vermittlungs- bzw. Lehr-Lern-Situation in Schule und Hochschule gilt es, eine Kommunikation zwischen Fachmann und Laien zu vollziehen. Dazu bedienen sich die Lehrkräfte in der Regel der Bildungssprache als Mittlerin. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Sensibilisierung für eine Kluft zwischen den vorhandenen Sprachfähigkeiten der Lernenden und den Anforderungen an die Aufnahme der Lerninhalte. Die Lehrenden müssen also darauf achten, dass ihre Schüler/-innen für den Lernerfolg auch Bildungssprache verstehen und produzieren können. Gleichfalls sind in dieser Hinsicht Missverständnisse oder Unverständnisse von Fach- und Lehrbuchtexten zu vermeiden. Insofern sind die Lehrer/-innen voll gefordert, die anspruchsvollen Unterrichtsgegenstände zunächst zu vereinfachen und auf dem Sprachentwicklungsniveau ihrer Schüler/-innen zu erklären sowie die Lernenden beständig an den bildungssprachlichen Sprachgebrauch heranzuführen. Und Gleiches ist für den geeigneten Gebrauch von Schulbüchern im Unterricht und zu Hause zu gewährleisten.

Schließlich beschäftigt sich Juliana Goschler mit der wichtigen Frage: Wie können Bildungsinstitutionen diese diffizile Aufgabe der Sprachschulung erfüllen? Denn die Verantwortung dafür kann nicht einfach auf die Eltern abgeschoben werden. Zwar sind sie in der Regel primär dafür zuständig, dass ihre Kinder von klein auf grundlegende Sprachkenntnisse erlangen und zur gesellschaftlichen Kommunikation befähigt werden. Aber wir bzw. die Gesellschaft und der Staat können nicht erwarten, dass alle Eltern in der Lage sind, bei ihren Sprösslingen über eine gewisse und unterschiedliche Beherrschung der Alltagssprache hinaus Bildungssprache und erst recht nicht Fachsprache in einem wünschenswerten Umfang anzubahnen, der ein gesichertes Auskommen in unserer komplizierten Welt garantiert. Dazu bedarf es einer ausreichenden Anzahl an professionellen Lehrkräften in den genannten öffentlich verantworteten Bildungsinstitutionen, die von Staats wegen leistungsfähig ausgestattet werden und allen Bedürftigen gleichermaßen zugänglich sein müssen.

Und die Autorin als ausgewiesene Expertin lässt keine Ausreden in Bezug auf einen Mangel an Zeit, Personal sowie Geld gelten und unterbreitet einschlägige Vorschläge zur Abhilfe. Trotz derzeit chronischer Unterfinanzierung unseres Bildungswesens verlangt sie z. B., dass Teamteaching mit einer Fach- und einer Sprachlehrkraft in der Lerngruppe zumindest auf längere Sicht zur Normalität an Schulen, Hochschulen und Ausbildungsstätten werden muss. Ebenfalls ist notwendig, dass alle Lehrkräfte als obligatorischen Teil ihrer Ausbildung die Themen „Sprache, sprachliche Heterogenität, Sprache im Fach“ kennenlernen. In Lehrerfortbildungen sollte bereits sofort gezielt der Zusammenhang von sprachlichem und fachlichem Lernen einbezogen werden. Die ständige Integration sprachlicher Aspekte in den eigenen Unterricht erweist sich zwar schwierig, jedoch ansatzweise möglich wie beim Training des Fachwortschatzes oder mit Wortfeld-Übungen. Die Identifizierung typischer grammatischer Strukturen in fachlichen Formulierungen wie „wenn-dann-Beziehungen“ in der Mathematik, Satzgefüge mit logischen Verknüpfungen in der Physik oder von Eigentümlichkeiten der Politiksprache können besprochen, analysiert, sprachlich vertieft werden. Deshalb muss der schulische Deutschunterricht, der vornehmlich die allgemeinen bildungssprachlichen Kompetenzen in Rechtschreibung, Grammatik, Literatur und Mediengebrauch vermitteln soll, durch komplexe fachsprachliche Bemühungen im Fachunterricht, Fachstudium oder in der beruflichen Ausbildung unterstützt, ergänzt und verfeinert werden. Dazu sind die Fachlehrkräfte in allen Fächern, Ausbildungs- und Studiengängen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung unter tatkräftiger Mitwirkung der zuständigen Akteure in Politik und Administration in die Lage zu versetzen.

Insofern darf und soll sich – nicht zuletzt aufgrund der ansprechenden Aufmachung und Präsentation – ein sehr breiter Leserkreis von dem kompakten Buch zum Mitstreiten für den höchst wünschenswerten Fortschritt des Sprachlehrens und -lernens heraus gefordert fühlen und engagieren.


Michelle Obama: Das Licht in uns – Halt finden in unsicheren Zeiten
Deutsche Erstausgabe München 2022 (Goldmann Verlag)
Rezension vom 13.02.2023

Michelle Obama, die Ehefrau des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Barack Obama (2009 – 2017) war nicht nur eine repräsentative First Lady der USA. Die Absolventin der Princeton University und Harvard School of Law arbeitete zuvor als Rechtsanwältin in einer Chicagoer Anwaltskanzlei, im Bürgermeister-Büro von Chicago, an der dortigen Universität und im Chicago Medical Center. Unter Anderem gründete sie eine Organisation „Public Allies“, die junge Menschen auf eine Laufbahn im öffentlichen Dienst vorbereitet, und engagiert sich in zahlreichen sozialen Projekten. Zu einer weltbekannten Persönlichkeit avancierte sie indes mit ihrem Bestseller „Becoming – Meine Geschichte“ (2018). An diesen Bucherfolg und die anspornende Resonanz auf ihrer begeistert aufgenommenen Vorstellungs-Tournee knüpft sie mit ihren Erfahrungen als aufstrebende Tochter, Mutter, Ehefrau, Freundin, Wahlkämpferin, Präsidentengattin, gesellschaftlich Engagierte im vorliegenden Buch an. 

 „Das Licht in uns“ steht als Fingerzeig und Antwort auf die Fragen in unserer unsicheren Gegenwart, die ihr Menschen aus der ganzen Welt in den letzten Jahren gestellt haben: Wie können wir in Zeiten von Pandemien, globalen und persönlichen Krisen bestehen, wenn uns Konflikte, Hilflosigkeit, Selbstzweifel, Verdruss plagen und uns die Hoffnung auf die Zukunft zu rauben drohen? Aufgrund ihrer ganz persönlichen Erlebnisse und Einsichten ist sie überzeugt, dass wir in uns Fähigkeiten finden und mobilisieren können, mit denen sich Probleme im Kleinen und Großen, Nahem und Weitem besser bewältigen lassen. Und sie gibt dazu Einblicke, wie sie es selbst mit Klugheit, Nachdenklichkeit, Offenheit, Mitgefühl, Humor schafft, ausgeglichen und stark zu bleiben für sich, ihre Familie, Freunde*innen, Mitmenschen, auch insoweit es keine schnellen Antworten und einfache Lösungen für die Herausforderungen des Lebens gibt.  
Ihr Credo oder Glaubensbekenntnis ist, jeder Mensch trägt ein kostbares Licht, eine Flamme in sich als etwas Einzigartiges, Individuelles, das man in sich selbst und anderen erkennen muss, um mitfühlende Gemeinschaften aufzubauen und die herausfordernden Zeiten zu bewältigen. Dazu gilt es, seine Kraft zu finden sowie Angst, Zweifel und Hilflosigkeit zu überwinden. So entwirft sie eine nachvollziehbare Lebensstrategie, sich in einer Welt der Hindernisse zurechtzufinden, wachsam zu sein und seine Energie gezielt für den persönlichen Erfolg einzusetzen. Als durchgängige Thematik behandelt sie den Fragen- und Antwortkomplex des Andersseins, wobei sich ihre Probleme als Farbige, als Frau, als Bürgerin aus einfachen Familienverhältnissen, als erfolgreich Aufstrebende beispielhaft für die typischen Schwierigkeiten des Außenseitertums in unserer Gesellschaft stehen, von denen wir mehr oder weniger in den alltäglichen Situationen unseres Daseins betroffen sind.  

Auf dem Weg zu Selbsterkenntnis und Selbstvertrauen empfiehlt sie etwa die ermutigende „Stärke des Kleinen“ als stetiges Voranschreiten, indem man überlebensgroße Vorhaben in überschaubare Einzelschritte zerlegt und abarbeitet. Oder sie plädiert für den konstruktiven Umgang mit Angst, die man entschlüsseln soll, insofern man sie als Reaktion auf etwas Neues erklärt, Gefahren und Erwartungen reflektiert, Vor- und Nachteile abwägt. Um unsere Akzeptanz in der Gesellschaft, in sozialen Gruppen wie Familie, Schule, Ausbildung, Beruf zu erlangen, sollten wir unsere Außenseiter-Gefühle aufgrund von Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit, Hautfarbe, Körpergröße, Geschlecht oder einer Behinderung, durch die man anders wahrgenommen und an den Rand gedrängt wird, zu etwas Besonderem und Vorteilhaftem machen, Ähnliche zum Vorbild nehmen und sich entsprechende Freundeskreise schaffen, was sie an Beispielen von sich selbst und ihrem familiären Umfeld beim Kampf um Gleichberechtigung und Gerechtigkeit erläutert. Sie gibt auch Ratschläge, wie man seine Integrität bewahren und danach handeln, sich von seiner „besten Seite“ als Selbstverpflichtung sowie offen für Freundschaften zeigen soll. 

Einen Schwerpunkt in der Fülle ihrer Betrachtungen und persönlichen Erfahrungen bildet beispielsweise noch das Thema „Partnerschaft“. Michelle Obama setzt hier bei der Erziehung und Identitätsfindung ihrer beiden Töchter zu „ganzen Menschen“ an, die in einem geborgenen Zuhause aufwachsen, menschliche Reife zu einem unabhängigen Leben entwickeln und den Umgang mit Konflikten lernen. Am Beispiel ihrer Ehe mit Barack verdeutlicht sie, worauf es in der Partnerschaft ankommt. Beide müssen im Verschmelzungsprozess zweier Leben ihre Verschiedenheit und Gepflogenheiten bewahren können, damit Gewissheit und Zuflucht in der Partnerschaft möglich sind. Das setzt eine gewisse Schwankungsbreite voraus, Anpassung auf beiden Seiten, verbindliche Aushandlungsprozesse in der Ehe, wobei kein vollkommenes Gleichgewicht herzustellen ist. Eine starke Partnerschaft besteht in einer dynamischen Beziehung voller Veränderung, bei der sich Kompromisse ablösen. Nachsicht und Freiraum sind geboten, wenn einer Schaden nimmt, ist Zeit zum Rückzug. Anfälle von Groll sind normal, aber Partner verstehen sich als Team und nicht als Erfüllungsgehilfe für eigene Begehren und Probleme, sodass auf lange Sicht Bleiben statt Trennen eintritt. In diesem Zusammenhang sei auf eine schöne Metapher verwiesen: „beim sofortigen Problemgespräch am heißen Dampf der Verärgerung verbrennen“ anstatt unterschiedliche Bedürfnisse und Lebensweisen mit zu bedenken, den gemeinsamen Weg durch diese Gemengelage zu finden, aufeinander erklärend zu reagieren. Denn es gibt „kein starres Set an partnerschaftlichen Grundregeln“, sondern wir müssen mit einem hohen Grad an Flexibilität durch das Leben gehen. 

Das Thema „Familie und Kindererziehung“ hält Michelle für ein äußerst wichtiges Anliegen, das im Buch nicht nur mehrfach vorkommt und das sie nicht nur privat gepflegt, sondern auch als First Lady im Weißen Haus sowie in sozialen Projekten intensiv gefördert hat. Konkret hat sie für einen Realitätsscheck die Maxime ihrer „Grandma“ in fünf Regeln aufgeführt und kommentiert (S. 245 ff.). Kinder zeigen uns unverfälscht, wie sehr wir authentische Freude Wohlwollen brauchen, und lassen uns unser eigenes Licht erkennen und leuchten, damit wir einträchtig miteinander umgehen. Deshalb sollen Kinder zu Hause sie selbst sein dürfen, sich sehen und gehört fühlen. Sie sind als eigene Individuen zu unterstützen und sollen ungehindert die Welt erkunden können, sich realistisch darauf einstellen, was passiert, statt nach Plänen unter Kontrolle gesteuert zu werden. Sie sind zu ermuntern, Fragen und Gedanken zu äußern. So sollen sie das Licht in Anderen entdecken und mit natürlicher Neugier außerhalb im Leben nach mehr davon suchen. Also soll man bei Kindern stets das Beste annehmen und ihnen Vertrauen entgegen bringen.  

Schließlich greife ich noch ein relevantes Kapitel in Michelle Obamas Buch auf, das ihre Berufsarbeit und ihre politische Tätigkeit betrifft, insbesondere ihre Wahlkampf-Unterstützung für ihren Mann, damit dieser als Farbiger Präsident der USA werden konnte, nämlich die Bedeutung der Teamarbeit. Unter der Überschrift „Wir alle zusammen“ beschreibt sie sehr versiert und engagiert, dass heutzutage das Schaffen und der Erfolg von Spitzenleuten nur als Teamarbeits-Ergebnis zustande kommt. Dankbar und geradezu liebevoll äußert sie sich über die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihren persönlichen Mitarbeitern*innen, aber ebenfalls mit Gefolgsleuten zur Wahrung einer partizipatorischen Demokratie, gegründet auf der Idee freier Wahlen sowie dem Bekenntnis zu den Idealen der Menschlichkeit, die in der nachfolgenden Trump-Ära gefährdet wurden. Recht feinfühlig erzählt sie vom Schutzpanzer vor Panik und Desaster, den man bei gleichzeitiger Beweglichkeit benötigt, um in unserer Welt voller Linien und Grenzen zu bestehen. Man muss sorgfältig entscheiden, welche überschritten werden sollen oder nicht, um die eigene Flamme zu schützen, ohne sie zu verbergen. Manchmal ist es sinnvoll, sich zuerst zu fügen, um dann etwas zu verändern.  

Fazit: Auch dieses Buch von Michelle Obama hat es redlich verdient, auf der ganzen Welt gelesen und beherzigt zu werden!


Franz Alt/Ernst Ulrich von Weizsäcker:
Der Planet ist geplündert – Was wir jetzt tun müssen
Stuttgart 2022
Rezension vom 06.072022

Der Anlass für die vorliegende Veröffentlichung ist das 50jährige Jubiläum der Studie „Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“ im Jahr 1972. Die Autoren beleuchten den Verlauf der krisenhaften Entwicklung und stellen dazu eine schonungslose Diagnose. Aber sie suchen auch nach den Möglichkeiten für die Zukunft und können bereits mit vielen praktikablen Lösungsbeispielen aufwarten, die es auf breiter Ebene zu entfalten gilt. Im Mittelpunkt der globalen Umsetzung stehen nachhaltiges Produzieren und Wirtschaften sowie das Gelingen einer menschengerechten Demokratie, indem wir von der Natur lernen und der göttlichen Schöpfung des gesamten Lebens gerecht werden sollen. Dann können wir es nach Ansicht von Alt und Weizsäcker noch vor dem Punkt ohne Umkehr bzw. „Kipppunkten“, nach denen es kein Zurück mehr geben könne, schaffen, den verheerenden Untergang der Menschheit zu stoppen und abzuwenden. Jedoch müssen wir uns sofort nach bestem Wissen und Gewissen ändern sowie kraftvoll handeln. 

Am Anfang zeigt uns Franz Alt unseren „Planeten in Lebensgefahr“, weil wir gegenwärtig schon die tatsächlichen Grenzen des Wachstums weitgehenden erreicht haben. Die derzeitigen Unwetter-, Flut-, Dürre-, Feuerkatastrophen, Zyklone, Tsunamis und Reaktorunfälle bis hin zur Corona-Pandemie offenbaren in brutaler Weise, dass wir Menschen die materiellen Grenzen einer endlichen Welt nicht beachtet haben. Die Klimakrise hat ihren Ursprung in ehrfurchtsloser Ausbeutung der Natur. Das Verbrennen fossiler Rohstoffe in ungeheurem Tempo hat Millionen Menschen das Leben gekostet und die Gesundheit geraubt. Weltweit haben 1,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser; täglich verhungern etwa 20000 Menschen. Tier- und Pflanzenarten sterben schneller aus als je zuvor, Gletscher schmelzen, Wüsten nehmen zu, das Klima erwärmt sich zu stark und gefährdet das 1,5 Grad-Ziel von Paris, das sich die Weltgemeinschaft 2015 als äußersten Katastrophenschutz gesetzt hat. Indes ist der Planet schon geplündert und hat Fieber, er darf nicht durch den weiteren Ausstoß von Treibhausgasen und Verpestung der Luft todkrank werden. Er darf auch nicht mit Müll und Abfall zugeschüttet werden und die Meere dürfen nicht mit Plastik verseucht werden. Bei der Klimaerhitzung geht es bereits um eine Frage von Leben und Tod, denn die Klimakatastrophe erweist sich als Menschheitskatastrophe.

Doch wir wissen, dass ein gesellschaftlicher Wandel erforderlich ist, um die Klima- und Umweltschutz-Problematik zu lösen. Nach Alt und Weizsäcker brauchen wir eine „ökoplanetare Zukunftsvision“ und müssen einen „globalen Ökohumanismus“ durchsetzen. Dafür haben wir uns nicht zuletzt auf die geistigen Grundlagen der Schöpfung zu besinnen. Wir benötigen zur Bewältigung der weltweiten Krise eine „Ökospiritualität“, eine globale Ethik und ein Weltethos und können im Gegensatz zu früher auf enorme wissenschaftliche Erkenntnisse bauen. Insbesondere sollten wir die Ökonomie als eine Unterabteilung der Ökologie begreifen, welche wir als Lehre vom Zusammenleben aller Lebewesen in ihrer Umwelt und in der schöpferischen Natur achten müssen. Insofern soll die Ökologie künftig für ökonomisches Handeln nur im Rahmen der planetaren Grenzen verantwortlich sein. Akut bedeutet das: Klima- und Umweltschutz haben absoluten Vorrang, damit eine „grüne Revolution“ mit einer Wende zu solarer Energie, ökologischem Verkehr, nachhaltiger Landwirtschaft, Wasser- und Waldbewirtschaftung, nachhaltigem Bauen eingeleitet werden kann. In diesem Sinne müssen wir als denkende und moralische Wesen zusammenstehen, um in diesem Jahrzehnt den „Krieg gegen die Natur“ zu beenden und die große Transformation im 21. Jahrhundert zu ermöglichen: Das heißt die vollständige solare Energieversorgung der Menschheit als Grundlage der ökologischen Ökonomie, eine abfallfreie Kreislaufwirtschaft sowie Humanisierung der industriellen Revolution. Dann besteht noch die Chance, den Kollaps aufzuhalten und den Weltuntergang zu verhindern.

Dazu ist ein wichtiges Anliegen im Buch, an „Beispielen positiver Entwicklung“ zu zeigen, dass und wie rasche notwendige Veränderungen zu bewältigen sind. Als Erfolge mit erneuerbaren Energien führen Alt und Weizsäcker u. a. auf: Deutschland produziert bereits heute fast 50 % seines Stroms erneuerbar, Island zu 98 % und Costa Rica zu 100 %. Das deutsche Passiv-Haus-Konzept spart 90 % des bisherigen Energieverbrauchs ein und findet gerade in China breite Anwendung. Chinesen kaufen schon mehr E-Autos als wir Europäer und in der südchinesischen 20-Milllionen-Metropole Shenzhen fahren 15000 Busse sowie sämtliche Taxis elektrisch. Die chinesische Regierung will nach ihrem jüngsten Fünfjahresplan „globale Supermacht der erneuerbaren Energien“ werden. Dänemark mit 6 Mio. Einwohnern baut einen riesigen Offshore-Windpark, der 10 Mio. Menschen Ökostrom liefern und zur Produktion von grünem Wasserstoff für Schifffahrt, Luftfahrt und Schwerindustrie dienen soll. Saudi-Arabien plant bis 2030 das weltgrößte Solarkraftwerk in der Wüste, das so viel Strom bereitstellen soll wie 70 Atomkraftwerke bei Kosten von 1 Euro pro Kilowattstunde. Zum Umweltschutz wird als mustergültig ins Feld geführt: Bayern und Baden-Württemberg haben sich gesetzlich verpflichtet, bis 2030 den Anteil des biologischen Landbaus zu verdreifachen und unsere Ampel-Bundesregierung will bis zum Ende des Jahrzehnts 30 % Ökolandbau einführen. Überall auf der Welt bereite man einen widerstandsfähigen Mischwald vor durch Vermeidung von Monokulturen und Kommunalpolitiker holen Wald und Bäume in die Stadt und bauen Radwege im Grünen aus wie in Helsinki, Stockholm, Amsterdam, Paris. Auch in Deutschland boomt der Radfahrmarkt dank E-Fahrräder und das Bundesverkehrsministerium fördert die Radinfrastruktur mit 600 Mio. €, während an 7 Hochschulen Lehrstühle für den Radverkehr als Universitäts- und Forschungsfach eingerichtet wurden. Für die Klimarettung wird beispielgebend vermeldet: Die Zahl der E-Autos hat sich bei uns im Jahr 2020 verdoppelt und in 2021 wurden hierzulande europaweit die meisten E-Autos verkauft. Die Bundesregierung stellt über 100 Milliarden Euro für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs bis 2030 zur Verfügung. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 wurden unsere Klimaschutzziele erhöht, um bis 2045 unser Land klimaneutral zu machen. Die EU will bis 2030 gegenüber 1990 nun 55 % weniger CO2 emittieren. Die USA wollen den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 gegenüber 2005 um 50 % reduzieren. Brasilien hat sich bereit erklärt, die illegale Abholzung des Amazonas-Gebietes bis 2030 zu beenden und seine Emissionen in den nächsten 10 Jahren um 50 % zu senken; Japan kündigte Letzteres mit 46 % im Vergleich zu 2013 an (S. 15 ff.). Dieses realistische Positiv-Szenario wird wie die Negativ-Bilanz an anderen Stellen des Buches mit Nachdruck für die Leser*innen ergänzt und vertieft.

Die Rio-Umweltschutz-Konferenz von 1992 und das Pariser Klimaschutz-Abkommen von 2015 haben also nicht nur Hoffnungen geweckt, sondern führen in evolutionären Schritten zu konkreten Lösungsansätzen, die trotz aller Diktatoren und autoritärer Regime aufgrund von Überlebens- und Freiheitswillen, Weltbürgeridentität, Aufklärung und Solidarität rund um den Erdball umgesetzt werden müssen. Dabei betont Alt mehrfach, wie wichtig Frauen wie z. B. Raissa Gorbatschow oder Greta Thunberg in der Politik sind und dass es künftig auf eine Balance von männlich und weiblich in der Gesellschaft mehr denn je ankommt. Das Gelingen des grundlegenden Wandels muss gewährleisten, dass „ein gutes Leben in Würde für 10 Milliarden Menschen innerhalb planetarer Grenzen möglich ist. Als entscheidend erweist sich, dass die materiellen Grenzen des Wachstums in die Grenzenlosigkeit des Geistes, die das „Schlüsselwort für eine gute Zukunft“ darstellt, eingebettet sind. Daraus resultiert nämlich eine Lernwilligkeit, Lernfähigkeit und grundsätzliche Offenheit für neue Erkenntnisse: dass sich durch Geburtenregelung, Produktionsbeschränkung, Technologien zur Erosionsverhütung, Emissionsbekämpfung, Ressourcenschonung doch ein Gleichgewichtszustand erreichen lässt. In diesem Sinne wurden Updates und weitere Berichte erstellt und publiziert wie 2016 „Ein Prozent ist genug – Mit wenig Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen“, worin 13 Vorschläge zur Arbeits- und Einkommens-Sicherung, gerechteren Besteuerung, zum nachhaltigen Umweltschutz enthalten sind. Oder in der 6. Auflage von „Die Grenzen des Wachstums“ 2020 präsentieren die Autoren 10 alternative Szenarien, wie die Entwicklung im 21. Jhdt. ablaufen könnte, und wollen damit zum Lernen, Nachdenken und zu persönlichen Entscheidungen anregen. Weltweit kam allmählich eine wissenschaftsbasierte Umweltpolitik in Gang gegen den Klimawandel und für Abrüstung und Atomausstieg, eine globale Bewegung für die Anerkennung des Klimaschutzes als Menschenrecht.

In dem lesenswerten Buch bemühen sich Franz Alt und Ernst Ulrich von Weizsäcker redlich, Überzeugungsarbeit für die Sache bei den Bürgern durch interessante Informationen und Argumentationen zu leisten. Dazu zählen neben Weizsäckers Erklärung markanter Wachstumsmodelle nebst kritischer Konsequenzen insbesondere Alts 18 Zukunftsthesen oder „Angebote des Überlebens“, die seine facettenreichen Ausführungen prägnant zusammenfassen und in deren Mittelpunkt sich die Interdependenzen allen Lebens sowie das Lernen und der Frieden mit der Natur befinden. Zur Motivation der Leserschaft dient neben der mannigfaltigen Inhaltsstrukturierung und Metaphern reichen, bildlichen Sprache eine alternierende Fokussierung auf die Sonne als unerschöpfliche Energiespenderin und natürliche Dauerlösung für die Umwelt- und Klimakatastrophe sowie unsere glückliche Zukunft. Dies geschieht mit Nachdruck an verschiedenen Stellen des Buches in immer wieder neuen Zusammenhängen. Einige markante Aussagen dazu sind: Die Sonne ist „der Stern, um den sich alles dreht“, obwohl nur einer von 200 Milliarden Sternen in unserer Milchstraße. Die Verschmelzung von Wasserstoff zu Helium in der Sonne ist „die primäre Energiequelle sämtlicher Lebensprozesse, jede Sekunde wandelt sie fünf Millionen Tonnen Materie in Kernenergie um“. Wir Erdenbürger sind im Grunde Sonnenkinder und „baden im Energiefeld dieses kosmischen Lebensspenders“. Die Sonne funktioniert als Fusionsreaktor dort, wo sie die Evolution, Gott oder die Natur vor Milliarden Jahren platziert hat, nämlich in 150 Millionen Kilometern Entfernung zur Erde und von wo aus sie mit 15 Mio. Grad Hitze uns und unsere Solaranlagen mit einfacher, preiswerter, ungefährlicher Energie versorgt. So sollen wir uns nicht länger hinters Licht führen lassen, sondern selbst das Licht sein, indem wir uns für die Sonne öffnen. Wie ein Gag wirkt der Begriff „Solarbeton“, dabei sollen Solarzellen in Hausfassaden integriert werden, indem Beton durch Auftragen einer Schicht von fotoreaktiven Substanzen leitfähig wird und Energie liefert. „Mit Gott wird es gehen“, dem Leben auf der Erde die Zukunft durch die vielen Umwandlungsprozesse von Sonnenlicht in andere Energieformen zu sichern, sagt Alt, denn Gott sei die Sonne hinter der Sonne, die Urenergie aller Energien, der wir alles Leben verdanken, weil unsere Erde den exakt richtigen Abstand zur Sonne als Lebensspenderin hat. Die Sonne schickt keine Energie-Rechnung, sie ist im Überfluss vorhanden und kann den weltweiten Energiebedarf mehrfach decken, sodass wir die solare Energiewende herbeiführen können. Also ruft uns Alt zu: „Solarier aller Länder – vereinigt euch! Oder: Bürger zur Sonne, zur Freiheit!“ Und mein Appell lautet: Lest bitte alle das verständliche, aufschlussreiche Buch und zieht eure persönlichen Schlussfolgerungen!


Barbara Streidl
GIER - Wenn Genug nicht Genug ist
Stuttgart 2022
Rezension vom 21.05.2022

Gier gehört zum Menschsein und sie steckt als Todsünde mehr oder weniger ausgeprägt in uns allen. Über sie wurde auch schon frühzeitig nachgedacht: sowohl in der griechischen Antike als ebenfalls in der christlichen Dogmatik. Und sie beherrscht als grundlegende Problematik unser Leben heute mehr denn je, sodass Aufklärung zu ihrer Überwindung geboten erscheint, was Barbara Streidl in ihrem lesenswerten Buch anschaulich und gründlich besorgt.

Gier, Habsucht, Geiz als Antrieb der Menschen: Wir wollen immer mehr ohne Ende und selbst dann, wenn es auf Kosten und zum erheblichen Nachteil Anderer geht. Wir tun es, da es in unserer Wachstums-, Konsum- und Überfluss-Gesellschaft normal und weit verbreitet ist, viel zu haben und trotzdem noch mehr zu wollen. Das gilt im Großen wie im Kleinen: ob ausbeuterische Unternehmer, „Heuschrecken“-Investoren, Miethaie, bestechliche Staatsdiener, Börsenspekulanten, Steuerbetrüger, Sozialhilfe-Mogler, skrupellose Schnäppchenjäger – sie wollen in ihrer Habgier den eigenen Vorteil ohne Rücksicht auf die Mitmenschen oder das Allgemeinwohl. Die Autorin erläutert die Gier in uns: woher sie kommt, wo wir ihr begegnen, wie sie uns ergreift und prägt, auf welche Weise wir sie bezwingen könnten, wenn wir überhaupt bereit werden, uns entsprechend zu ändern.

Wie Geiz und Gier in unserer Gesellschaft verankert sind, schildert Barbara Streidl aktuell an markanten Beispielen und aus vielfältigen Perspektiven wie einem illegalen Hausabriss in München angeblich aus „Versehen“, der gerichtlich bislang nicht geahndet werden konnte, oder exemplarisch mit einem riesigen Pflegebetrug, der im bayrischen Gesundheitssystem stattfand, nicht zuletzt durch Ausbeutung und Bereicherung in Leiharbeiter- und Erntehelfer-Skandalen. Aber sie spürt der „neuen Habsucht“ auch in Werbeslogans oder Popsongs nach und zeigt „berühmte Maßlosigkeit“ etwa bei Popstars wie Elvis Presley und Madonna, jedoch ebenfalls bei bekannten Schauspielerinnen, Politikern oder anderen Spitzenpersönlichkeiten auf. Gleichfalls verfolgt sie „Habgier in der Bibel“ und beschreibt Auseinandersetzungen um Habsucht, Gemeinwohl und Nächstenliebe im Alten und Neuen Testament. Obwohl die Grenzen des Wachstums (Club of Rome) bereits vor 50 Jahren sichtbar waren, entwickelte sich unser Gesundheitswesen infolge von Profitgier und Trickmöglichkeiten in Teilen zum „Schlaraffenland für Kriminelle“. Angebahnt bzw. gerechtfertigt werden die zugrunde liegenden unmoralischen „Gierschlund“-Einstellungen und Verhaltensweisen durch ein ungelöstes Problem der Einkommensverteilung wegen Begünstigung der Superreichen und Machtelite. In der Trivial- und Comic-Literatur erweist sich der in Geld badende „Dagobert Duck“ als weltberühmter Vorzeige-Kapitalist und Muster für maßlosen Profit, wobei die Autorin eine Beziehung zu Donald Trump herstellt, während sie andererseits eine diesbezügliche Enthaltsamkeit moderner Moralphilosophie feststellt.

Streidl trägt noch mehr Fälle vor, wie der Wohlstand der Einen den Übelstand der Anderen erzeugt und die Gier ins Grenzenlose treibt wie Billigkonsum und Kaufwahn zum Einen und menschenunwürdige Produktion zum Anderen, etwa bei der Kleiderherstellung in Niedriglohnländern und Wegwerfmentalität oder Fresswelle mittels Supermarkt-Strategien. Die vorgestellten Befunde der Psychologie zu Kaufsucht, Auswüchsen der Gier und Konsumverzicht fallen indes eher dürftig aus. Aber die Autorin beschäftigt sich ausführlicher mit dem Ende der Habsucht, der gesellschaftlichen Akzeptanz, das Begehren zu verändern in Richtung auf die soziale Befriedigung von Bedürfnissen für ein erfülltes, glückliches Leben. Denn viel Geld schafft nicht große Zufriedenheit: „Kein Gegenstand kann die Hohlstellen in einem Menschen auffüllen – nur der Mensch selbst.“ So möchten die Hochvermögenden lieber mehr spenden, als höhere Steuern zahlen. Das „Commons-Prinzip“ stellt eine Möglichkeit dar, durch Gemeingut wie die Weltmeere oder das Teilen von Besitz wie das Sharing von Autos, Fahrrädern, teuren Werkzeugen und Maschinen unter Nachbarn innerhalb einer Gesellschaft ein bereicherndes „Gefühl von genug“ herzustellen und unersättliche Gier zu überwinden. Soziale Ungerechtigkeit berechtigt jedenfalls Zukurzgekommene nicht, etwas zu stehlen und den anderen einfach wegzunehmen. Schließlich gewinnt das Nachhaltigkeitsverständnis angesichts der Klimakatastrophe an Zuspruch und Einsicht, auf Statusobjekte zu verzichten, den Überkonsum von Ressourcen global zu beenden und materiellen Fortschritt in eine sozial-ökologisch gestaltete Zukunft zu überführen. Um dieses Zieles willen ist die Lektüre dieses Buches möglichst allen zu empfehlen.


Dr. med. Marianne Koch: Unser erstaunliches Immun-System
Wie es uns schützt, heilt und wie wir es jeden Tag stärken können
München 2020
Rezension vom 29.12.2021

Fantastisch - wie anschaulich und versiert die bekannte Ärztin und Gesundheits-Journalistin Dr. med. Marianne Koch uns das angeborene und erworbene Immunsystem als Grundlage unseres Lebens und Menschseins erklärt. So beschreibt sie, wie es als Körperabwehr in den Organen der Haut, Schleimhäute, Milz und Leber sowie des Darms die Feinde des Körpers als Viren, Bakterien, Pilze, Krebszellen, andere krank machende Erreger und fehlerhafte Zellen identifiziert und mit Antigenen, Killer- und Fresszellen unschädlich macht. Das erläutert die Autorin an Krankheits-Beispielen von Influenza, Corona, Gürtelrose, Aids, Lungenentzündung.

Und sie geht gleich darauf ein, auf welche Weise man sich schützen und sein Immunsystem stärken soll: durch natürliche Ernährung statt Industrieerzeugnisse sowie spezifische Nahrungsergänzungsmittel, sportlich angemessenes Training und gezieltes Bewegen, ausreichend Schlaf, andererseits Stressabbau, Vermeiden von und Aufhören mit Rauchen, Alkohol und Sonne in Maßen. Als besondere Schutzmaßnahme empfiehlt sie ausdrücklich und ausführlich das Impfen einschließlich ausgewogenem Impfplan.

In zwei Kapiteln beschäftigt sich Marianne Koch intensiv mit Irrtümern des Systems, nämlich Allergien und Autoimmunerkrankungen. Als chronisch allergische Krankheiten befasst sie sich mit Heuschnupfen, Asthma, Neurodermitis sowie Allergien gegen Medikamente, Insektengift, Kontaktenzem, Darmüberreaktion und gibt Behandlungstipps. Als Autoimmunkrankheiten behandelt sie Angriffe des Immunsystems gegen eigene Körperstrukturen wie Schilddrüse (Unter- und Überfunktion), Gelenke (chronische Polyarthritis), Multiple Sklerose (Leitungs-Kurzschluss), Typ 1-Diabetes, Zöliakie u. a.

Als Besonderheiten des medizinischen Fortschritts und der Wissenschaften, auf denen in heutiger Zeit viele Hoffnungen beruhen, setzt sich die kompetente Autorin noch mit Organ-Transplantationen und modernen Krebsbekämpfungs-Strategien auseinander, bei denen das Immunsystem eine zentrale Rolle spielt. Das „Drama der Transplantation“ wird mit der Problematik der Organspende eröffnet und mit der Darlegung der Sicherheit des Hirntodes verlässlich beantwortet. Dann wird erläutert, dass in diesem Fall das Immunsystem des Empfängers gezielt lebenslang mit Medikamenten geschwächt und der Immunschutz eingeschränkt werden muss, um die Gefahr der Abstoßungsreaktion der fremden Körperzellen zu bannen. Als kühne Therapie wird noch die Stammzell-Transplantation vorgestellt, mit der eigene Zellen konserviert werden, damit man nach dem Austausch des befallenen Knochenmarks Leukämie oder Blutkrebs heilen kann.

Mit der Kunst der Molekularbiologie wird neuerdings durch Zellprogrammierung oder gezüchtete CART-T-Immunzellen gegen die trickreichen Krebszellen vorgegangen, die dem Abwehrsystem durch Tarnen und Täuschen vorgaukeln, sie seien normale Körperzellen und müssten in ihrer Entwicklung verschont werden, sodass herkömmliche Verfahren der Chirurgie, Chemotherapie, Bestrahlung oder Anti-Hormon-Behandlung nicht genügend wirken. Daher werden mit präziser Gentechnologie im Labor Antikörper bzw. Eiweißstoffe konstruiert, die als Checkpoint-Inhibitoren die Krebszellen bei schwarzem Hautkrebs, Nierenzellkrebs oder bestimmten bösartigen Lungentumoren entlarven und vernichten können. Inzwischen werden von Wissenschaftlern auch entsprechende Biomedikamente (Biologica) gegen Krebszellen z. B. bei Brustkrebs entwickelt.

Im Schlusskapitel widmet sich Marianne Koch schließlich dem Einfluss der Seele auf das Immunsystem und zeigt uns im Rahmen der Psycho-Neuro-Immunologie auf, wie Verbindungen zwischen Gehirnzellen Gefühle und Körperfunktionen verknüpfen. Als praktische Konsequenz bringt sie anschauliche Beipiele: Traurigkeit, die hungrig macht; den Placebo-Effekt bei Tabletten ohne Wirkstoff; die Todesgefahr bei gebrochenem Herzen oder Gesundheitsschädigung durch chronischen Stress. Tipps für positives Denken und ein starkes Immunsystem beschließen das lesenswerte und aufschlussreiche Buch: kognitive Verhaltenstherapie, Entschleunigung des Lebens, körperliche Aktivität; soziale Kompetenz; Entspannungs-Training; gesteigertes Selbstwertgefühl.

Als Vorzug des Buches für einen breiten Leserkreis erweist sich, dass zur Auflockerung und resümierenden Vertiefung der Sachgebiete und wissenschaftlich fundierten Ergebnisse jeweils rhetorische Zwischenfragen gestellt und einfache Antworten gegeben werden wie etwa die Feststellung, dass man sich die komplizierten Fachausdrücke keineswegs merken muss und man keinen Informationsverlust erleidet, weil sie stets verständlich erklärt sind. Insofern können wir tatsächlich alles erfahren, was wir über unser Immunsystem als Wunderwerk der Körperabwehr wissen sollten.


Margarete Friebe: ICH BIN ICH Vom egositischen Alltags-Ich zum hohen geistigen Ich
Paderborn 2019
Rezension vom 07.06.2020

Margarete Friebe ist Psychopädagogin und Inhaberin des Alpha-Instituts Adligenswil/Luzern sowie Gründerin der Schweizerischen Friedensstiftung „International White Cross“. Sie forscht seit 40 Jahren auf dem Gebiet der Tiefenpsychologie und spirituellen Philosophie, ist Autorin etlicher Bücher auf diesen Gebieten und betreibt seit 1973 eine umfangreiche internationale Lehrtätigkeit zur tiefenpsychologischen Management-Schulung.

Im vorliegenden Werk lässt sie uns an ihrem persönlichen Weg der schwierigen Suche nach dem wahren Sinn unseres Lebens anschaulich und bewegend teilhaben. Aus ihrer leidvollen, trostlosen, vereinsamten Kindheit während des 2. Weltkrieges heraus interessiert sie sich bereits als Sechzehnjährige für die eigentliche Bedeutung unseres Daseins und will wissen, was unsere Welt im Innern zusammenhält sowie im Tiefen und Ganzen zu bieten hat. Den mühevollen Erkundungs- und Erkenntnisprozess vom „egoistischen Alltags-Ich zum hohen geistigen Ich“ beginnt sie in dem Buch zur fundierten Aufklärung und schrittweisen Führung der Leserschaft ans göttliche Ziel mit den mystischen Erlebnissen und Weisheiten der großen geistigen Lehrer der Antike. Indes schildert sie nur wesentliche Gedanken und Einsichten zum Kampf des Menschen um Dasein und Humanität, zur Persönlichkeits- und Seelenentwicklung in den Philosophien der altindischen, altpersischen, altägyptischen Denker. Beispielhaft sei hier auf die 7 „hermetischen Prinzipien“ verwiesen, die den Schüler auffordern „Beherrscher seiner Gedanken, Emotionen und Taten“ zu werden. Nach dem „Gesetz des Geistes“ ist alles real Existierende aus dem Geist oder der Idee geschaffen worden, auch der Mensch als Vorstellung des Ur-Schöpfers. Das konkret Vorhandene setzt also die Existenz des Immateriellen voraus und beweist diese. Nach dem „Gesetz der Entsprechung“ entspricht das Äußere strukturell dem Inneren, das Gegenständliche dem Geistigen, der Makrokosmos dem Mikrokosmos „Mensch“. Das „Gesetz der Schwingung“ sagt aus, dass alles Schwingung ist: das Atom wie jeder Gedanke, der sich qualitativ als informatives Schwingungsfeld fortpflanzt, zu einem bestimmten Gemütszustand führt und die Seele berührt. Alles schwingt und ist mit Allem verbunden. Gleiche Wellenlänge wirkt verstärkend und kann zur Tat anstoßen. Das „Gesetzt der Polarität“ besagt, das alles polar und als solches zur Bewegung zwischen positivem und negativem Pol notwendig ist. Auch die innere geistig-seelische Entwicklung erfolgt im Spannungsfeld zwischen gut und böse, Gott und Teufel (Luzifer), während der Mensch als individuelles, frei denkendes Ich-Wesen in der Mitte zwischen Beidem lebt. Das „Gesetz des Rhythmus“ lässt das Pendel der Polarität schwingen, sodass es keinen Stillstand gibt. Alles ist im Wandel von einer Stufe zur anderen. Dementsprechend soll man loslassen können, Blockaden auflösen und guten Fortschritt ermöglichen. Das „Gesetz der Kausalität“ bedeutet, dass es keine Wirkung ohne Ursache geben kann, wonach der Zufall nur ein Begriff für eine nicht erkannte Ursache ist. Also soll man nichts dem Zufall überlassen, sondern Fälle durch selbstbestimmtes Denken eigenverantwortlich entscheiden. Das verweist auf das „Gesetz des Geschlechts“, wonach sich jeder als individuelles Wesen begründen und behaupten soll, wenngleich männliche und weibliche Seinsformen in der menschlichen Seele „in befruchtender Harmonie miteinander wirken“ sollen. In diesem Zusammenhang plädiert Margarete Friebe für eine tiefe Herzens- und umfassende Friedensbildung auf der Grundlage dienender Liebe, wodurch Gier, Brutalität, Terror und Kriege überwunden werden sollen.

So haben bereits die antiken Lehrmeister das Denken Margarete Friebes bereichert und beflügelt, wie sie eindrucksvoll und beispielhaft im Einzelnen schildert. Jedoch die entscheidende Bewusstsein-Erweiterung hat sie durch die christlichen Mystiker erfahren, die sie zum „Repräsentanten der personifizierten Ur-Liebe“ führten, nämlich zur „Ur-Lehre des Christus“ gelangen ließen. Sie berichtet die Herzenserlebnisse mit Gott begnadeter Persönlichkeiten wie Meister Eckehart, Jakob Böhme, Theresia von Avila, Emanuel Swedenborg und insbesondere die Auseinandersetzung um die göttliche Dreieinheit aus Vater, Sohn, Heiligem Geist zu einem persönlichen, wesenhaften Gott als „Urform des Menschen, die im Kleinsten und Größten lebt und alles mit seiner Liebe durchdringt“. So gewann sie die Überzeugung, dass „ein Gott existent ist, der nicht anonym, unfassbar in der Unendlichkeit ausgedehnt lebt, sondern ein durchaus erlebbarer Gott ist“. Und sie fühlte in ihrem Gemüt „die lebendige Anwesenheit Gottes“, fand aber auch in einem Psychotherapeuten und Theologen keinen Gesprächspartner für ein Wissen mit Herzenstiefe und Erkenntnissen, die zur „allumfassenden Liebe“ führen. Da empfand sie es als segensvolle Gnade, dass sie die umfangreichen Schriften von Jakob Lorber (Gesamtwerk in 25 Bänden, Bietigheim ab 1877 ff.) kennen und lieben lernen konnte. So bekennt sie pathetisch: „Alle meine mitunter noch auftauchenden Zweifel haben sich aufgelöst; das Tor zur Ur-Kraft und Ur-Liebe im Herzen öffnet sich immer ein wenig mehr und zeigt mir den Weg zum hohen göttlichen Ur-Ich, der eine segensreiche Bewusstseins-Evolution aufzeigt, an der alle Anteil haben, die mit gutem Willen sich strebend hinauf entwickeln wollen auf der Stufenleiter des Ichs – vom egoistischen zum hohen geistigen –, das die Hochzeit mit dem Ur-Ich krönend besiegelt.“ Das galt als neue Offenbarung des einzigartigen Sinns menschlichen Lebens auf Erden: Es gibt einen Gott der Liebe, der alle Menschen zu seliger Vollendung und zum ewigen Sein führen will. „Erkennet und liebet ihn über alles, und liebet ihn um seinetwillen auch alle eure Mitgeschöpfe!“ Lorber (1800-1864) wurde zum überzeugenden Verkünder dieser Botschaft, indem er seine Lebensstellung als Kapellmeister ausschlug und einer inneren Stimme folgte, die ihm wie die Stimme Jesu Gottesworte kundtat und ihn zum unermüdlichen Schreiben durch höchste Eingebung veranlasste. Und Margarete Friebe fand in seinem großartigen Weltbild die Bestätigung ihrer eigenen Erfahrungen und Erlebnisse, die in der Erkenntnis gipfelten, dass Gott selbst mit seiner unendlichen Liebe, Weisheit und Allmacht im Herzen und in der Seele eines jeden Menschen lebt und es als höchstes Ziel menschlichen Seins gilt, das angeborene embryonale, egoistische Ich im Lebensalltag zu überwinden und nach dem Ebenbild Gottes zum hohen geistigen Ich zu entfalten.

Nach diesem Schlüsselerlebnis macht sich Margarete Friebe ans Werk und an ihre Lebensaufgabe, die Mitmenschen durch Wissensvermittlung, Aufklärung, herzlicher Zuwendung und Nächstenliebe, großer Ausdauer und Geduld auf die Stufenleiter der Bewusstseins-Evolution zu führen und in Erlangung des hohen geistigen Ichs mit Gott zu verbinden. Dazu untersucht sie im vorliegenden Buch den Ursprung des egoistischen Ichs und setzt sich zunächst mit den negativen Eigenschaften des Menschen anhand des schändlichen Treibens auf Erden von Luzifer als dem Ur-Teufel und Gegenspieler Gottes auseinander. Luzifer als der höchste von Gott geschaffene „Lichtgeist“ sollte im göttlichen Auftrag schöpferisch tätig sein und nach dem Willen Gottes Universen und Wesen erschaffen. Diese Aufgabe erfüllte er eine Zeitlang, bis er auf die Idee kam, seine verliehene Macht über Gott hinaus zu steigern und für eigene Zwecke zu nutzen. Diese eigensüchtige Überheblichkeit wurde mit seinem Fall in die materielle Welt und der Zersplitterung seiner Macht auf der Erde geahndet. Diesem Schicksal folgte ebenfalls der erste irdische Ur-Mensch Adam wegen seines luziferischen Verhaltens des Ungehorsams, wodurch der Egoismus geboren wurde. Zwischen diesen beiden Polen, der finsteren luziferischen Kraft und der edlen göttlichen Macht, lebt der Mensch als individuelles Wesen mit seinem Hang zum Egoismus und seinem denkenden Ich mit dem Willen zur freien Entscheidung zwischen beiden Seiten. Zudem ausgestattet mit dem „geistigen Organ“ des Gewissens, das bei schlechten Gedanken und Taten die Seele mit bedrückenden Gefühlen belastet und bei guten, mitmenschlichen Absichten und Handlungen ein seelisches Wohlgefühl erzeugt. In diesem Sinne machen die unreflektierten modernen Lebensumstände und Auswirkungen der oberflächlichen Massenkommunikation sowie die Gier nach Macht und materiellem Wohlstand heute viele Menschen zu Sklaven Luzifers. Margarete Friebe berichtet von der Bekanntschaft mit zahlreichen Personen während ihrer 40-jährigen Lehrtätigkeit, die sich als Gefangene ihrer Begierden, Abhängigkeiten und Schwächen fühlen und diese sehnsüchtig loswerden wollen. Sie setzt dagegen eine Begegnung in Güte und Warmherzigkeit, Nächstenliebe, geistig-seelische Herzensbildung, aufbauende, positiv-hilfreiche Gedanken, die das Gefühl der Steigerung des Guten in der Seele bewirken. Aber das egoistische Ich soll nicht verteufelt, sondern als erziehbare Teilpersönlichkeit mit einer ganzheitlichen Bildung für Geist, Seele und Körper verstanden und höher entwickelt werden, was die Autorin unter Einbeziehung der 7 hermetischen Gesetze und persönlicher Beispiele ausführlich erläutert.

So kommen wir zum Herzstück des Werkes, aus dem die Leserschaft nach meiner Auffassung unmittelbar für die Sinnerfüllung des eigenen Lebens lernen und Konsequenzen ziehen kann. Da ist zum Einen das Kapitel über „die zu erringenden notwendigen Eigenschaften zur höheren Bewusstseinsbildung“. Im gesamten Lorber-Werk finden sich die 7 Eigenschaften Gottes, die wir Menschen in uns tragen und im Rahmen unserer Möglichkeiten im Alltag praktizieren sollen. Die erste Eigenschaft Gottes ist die LIEBE, durch die alles entstanden ist und die allem Geschaffenen das Leben eingehaucht hat, denn die göttliche Liebe ist das Leben selbst. Durch die täglich betriebene Nächstenliebe können wir immer liebesfähiger werden, besonders wenn wir nicht nur Freunde lieben, sondern uns auch der Unsympathischen, Schwachen, Hilfsbedürftigen annehmen. Um dem Unliebsamen ebenfalls Mitgefühl und Verständnis entgegen zu bringen, sollte man sich bewusst machen, dass er unwissentlich seinen negativen Teilpersönlichkeiten ausgeliefert ist. Außerdem müssen wir unseren Blick für die Not des Anderen schärfen und wir dürfen nicht gleich verzagen, wenn er auf unsere Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft nicht wie erwartet reagiert. Wir müssen beharrlich lernen, nicht enttäuscht zu sein, indem wir uns selbst dahin erziehen, ein aufrichtiges Interesse am Wohl unserer Mitmenschen zu haben. Gottes Liebe wirkt nur zusammen mit seiner WEISHEIT als zweiter Eigenschaft, die das Wunder der Schöpfung hervorgebracht hat. Alles Geschaffene widerspiegelt seine Weisheit, nicht nur das nahezu unerschöpfliche menschliche Denken und der Erfindergeist, sondern ebenfalls der weisheitsvolle Instinkt der Tiere. Die Leistung, eine lebende Ameise zu erschaffen, ist gewaltiger, als eine Saturnrakete für den Flug ins All herzustellen. Denn der Mensch kann nicht die Natur, sondern nur Totes erzeugen (von der wiederum gottbasierten Fortpflanzung abgesehen). Es kommt auf das harmonische Zusammenwirken von Weisheit und Liebe an, besondrs in der Kindererziehung. Liebe ohne vernünftige Grenzen wird zur verhätschelnden „Affenliebe“ und Weisheit ohne Liebe bleibt kalt oder hochmütig. Als dritte göttliche Eigenschaft gilt der gute WILLE zur Tat, der den Geist und das eigenständige Ich antreibt, damit Fortschritt und überhaupt etwas entsteht. Ohne starken Willen gibt es keine Weiterbildung und keine Überwindung der Laster und negativen Teilpersönlichkeiten, auch keine Höherentwicklung auf der Stufenleiter der Bewusstseins-Evolution. Die göttliche ORDNUNG erweist sich als vierte Eigenschaft, die die gesamte Schöpfung durchzieht und gleichfalls unserem Denken, Wollen und Handeln die Richtung weisen sollte. Wir benötigen einen zielorientierten Weg für unseren Willen, um etwas Sinnvolles zu produzieren, eigene Ideen zu verwirklichen und selbstbestimmt unsere Persönlichkeit zu entwickeln, jedoch Chaos zu vermeiden und Katastrophen zu überwinden. Als fünfte göttliche Eigenschaft fungiert der ERNST, der uns motiviert, dass wir uns nicht gleichgültig, unverbindlich, oberflächlich verhalten, sondern mit standhaftem Willen unsere guten Absichten und Vorsätze umsetzen und unsere gewonnenen Erkenntnisse konsequent anwenden und beharrlich weiter verfolgen. Darin werden wir von der sechsten göttlichen Eigenschaft der GEDULD unterstützt. Sie benötigen wir, um dem verbreiteten Stress und der zermürbenden Hetze gelassen zu begegnen, damit wertvolle Ideenflüsse und Vorhaben nicht unterbrochen oder blockiert, zu früh aufgegeben werden oder gar in Fehlentscheidungen enden. Mit Langmut müssen wir unsere Schwächen und Fehler erkennen wollen und besonnen nach dem jeweils Besseren streben, gleichsam geduldig Verständnis und Mitgefühl für das Fehlverhalten der Anderen entwickeln und zur Vergebung und Versöhnung bereit werden. Damit sind wir bei der siebten göttlichen Eigenschaft der BARMHERZIGKEIT angelangt, die wie die Liebe all die anderen aufgeführten Eigenschaften durchdringt. Wo sie fehlt, kann das grenzenlose Ertragen und Gedulden ins extreme Nichtstun ausarten und zur Katastrophe führen. Vor allem sollte die Barmherzigkeit kein schädliches Verhalten rechtfertigen oder gar verstärken, sondern in Güte und Harmonie mit den anderen Basiseigenschaften zum Seelenfrieden beitragen und zur Entfaltung des hohen geistigen Ichs wirken.

Diesen sieben Basiseigenschaften, die zusammen das Wesen Gottes repräsentieren und als Schöpfungsprinzip und höchstes Ur-Ich in jedem Menschen angelegt und zur Verwirklichung im Leben aufgegeben sind, stehen nach dem Gesetz der Polarität den sieben luziferischen Hauptleidenschaften als Hemmnisse zum Erringen des hohen geistigen Ichs gegenüber. Es handelt sich um die niedrigen Eigenschaften des egoistischen Alltags-Ichs des Menschen, nämlich „Hochmut, Herrschgier, eifersüchtigster Neid, tödlicher Geiz, unversöhnlicher Hass, Verrat, Mord“. Margarete Friebe setzt sich mit ihnen differenziert auseinander und liefert persönliche Ratschläge zur jeweiligen Selbstbeobachtung und zum Abbau-Training etwa mit Verzichtübungen. Denn das egoistische Ich will vieles im Übermaß und macht den Menschen zur Marionette seiner Gier und Unersättlichkeit, beraubt ihn seiner inneren Würde, entmenschlicht ihn. Allerdings sei hier angemerkt, dass ein gesunder Egoismus bis zu einem gewissen Grade durchaus überlebenswichtig ist und notwendig zur Daseinsbewältigung auf der Erde in dieser materiellen Welt gehört. Daneben und darüber darf man jedoch nicht den lohnenden, wichtigen Lebenskampf um die sinnerfüllende Bewusstseins-Erweiterung zum hohen geistigen Ich vernachlässigen; angesichts der abträglichen modernen Zivilisation gilt es eher im Gegenteil, sie nach besten Einsichten und Kräften zu forcieren. Jedenfalls werden wir – jeder nach seiner Herkunft, seinem sozialen Umfeld, seinen individuellen Maßen und Möglichkeiten – am Ende unseres irdischen Lebensweges in unterschiedlichen Situationen, mit einem verschiedenen Entwicklungszustand unseres hohen geistigen Ichs ankommen. Das wissen wir, daran gibt es keinen ernsthaften Zweifel. Aber es stellen sich mehr oder weniger vehement die Fragen aller Fragen: Was bedeutet mein irdischer Tod? Gibt es nach dem leiblichen Verfall für mich nur das Nichts oder eine Weiterexistenzchance im Jenseits? Habe ich eine unsterbliche Seele? Was passiert mit meinem hohen geistigen Ich auf dem erreichten Niveau? Kann ich auf einen gütigen Gott vertrauen oder muss ich eine strafende Macht befürchten?

Für Margarete Friebe stellen sich diese Fragen in ihrer Konzeption und verinnerlichten Weltauffassung gar nicht (mehr?). Denn nach ihrer Überzeugung geht es im Jenseits für jeden Menschen auf der Polaritätsleiter der Bewusstseins-Evolution stufenweise weiter, so ähnlich wie auf Erden, bis das hohe geistige Ich des Menschen vollendet ist und in der glückseligen Hochzeit mit Gott vereinigt wird, das heißt mit dem göttlichen Ur-Ich, seiner Ur-Liebe, Ur-Weisheit, seinem Ur-Willen, gar mit dem Herzen Gottes, das in Jesus Christus als dem geistigen Ur-Menschen inkarniert ist. Um dies der Leserschaft anschaulich, aufgelockert-lebendig zu vermitteln, hat Margarete Friebe dramaturgisch sehr geschickt, ein ausführliches, eindringliches Zwiegespräch zwischen dem zweifelnden, fragenden Alltags-Ich (AI) sowie dem weise antwortenden Hohen Geistigen Ich (HGI) als umfangreiches Schlusskapitel ins lesenswerte Buch gesetzt. Gläubige, besonders überzeugte Christen müssten davon begeistert sein. Ich als rationaler Neukantianer, der ich der logischen Philosophie Immanuel Kants anhänge, empfehle es jedem zur Lektüre, der Fragen nach der Sinnfindung unseres Lebens hat und sich für die geistig-seelischen Grundlagen der menschlichen Existenz in dieser Welt interessiert.

Zu Letzterem will ich abschließend noch einen Kommentar von meinem nüchternen Standpunkt aus abgeben. Nach meiner Logik sollte man für eine kritische Beurteilung beachten, dass die gegenständlich-materielle Welt und der geistig-seelische Bereich zwei verschiedene Seinsqualitäten nach dem Gesetz der Polarität sind. Das bedeutet, dass das Wissen da aufhört, wo der Glaube anfängt und umgekehrt. Demnach kann man annehmen, dass z. B. die berichteten Gotteserlebnisse der Mystiker wie auch ähnliche Nahtoderfahrungen in heutiger Zeit wahr sind, d. h. als Inhalte ihres hirnbasierten Bewusstseins tatsächlich so erlebt wurden. Aber das sind Diesseitserfahrungen und keine Aussagen über das Jenseits, seine Existenz und Beschaffenheit. So muss es sich ebenfalls mit der Grenzüberschreitung Margarete Friebes von der konkreten Wissensvermittlung im Diesseits zur Schilderung der Glaubensinhalte im Jenseits verhalten wie der Annahme der Stufenleiter zur Bewusstseins-Evolution oder der Hochzeit des hochgeistig-menschlichen mit dem göttlichen Ich. Sie mag es noch so überzeugend real empfinden und man darf darauf für sich hoffen und Trost spüren, jedoch bleibt es letztlich spekulativ. Einer ihrer Ratschläge lautet: „Rede täglich mit deinem göttlichen Vater in dir. Stell Ihn dir wirklich als höchstes Ur-Ich in ätherisch feinstofflich menschlicher Gestalt vor.“ Wohl dem, dessen Glaube und Fantasie das hergeben! Nach dem Kausalitätsgesetz von Ursache und Wirkung ist Gott als allmächtiger und allgegenwärtiger Schöpfer dieser Welt als logisch notwendige Zielvoraussetzung anzunehmen. Und wir wissen, dass es hinter der grobstofflichen Gegenstandswelt einen feinstofflichen Atom- und Quantenbereich gibt, in dem alles miteinander verbunden ist, den wir jedoch nicht mit unseren natürlichen Sinnen, sondern nur mit technischen Hilfsmitteln wahrnehmen können; trotzdem ist das immer noch diesseitiges Wissensgebiet. Die Hirnforscher können nachweisen, dass unsere Gedanken auf neuronalen Hirnströmen beruhen, jedoch können sie nicht erklären, wie diese ins Geistige umgewandelt werden und woraus diese andere Sphäre besteht. So setze ich Gott als abstraktes Schöpfungsprinzip in mir voraus und bete als solchem zu ihm. Dass man sich als gewissenhafter, guter, hilfsbereiter Mitmensch im Leben bewährt und sich für eine humane, friedvolle Daseinsgestaltung einsetzt, ist uns allen als verantwortungsvolle Bürger nach dem Gebot der Menschenrechte ohnehin aufgegeben.


John Strelecky: Das Café am Rande der Welt
Eine Erzählung über den Sinn des Lebens
41. Aufl. 2018 München (dtv)
Rezension vom 16.07.2019

Da das Buch als internationaler Bestseller in 34 Sprachen ausgewiesen ist und ich gerne dem Sinn des Lebens nachspüre, reizte mich der kuriose Titel zum Lesen und ich erhoffte mir, durch eine angenehme Lektüre der Erzählung etwas Interessantes zu dem bedeutsamen Thema zu erfahren.
Ungewöhnlich gestaltet sich die Geschichte allemal, wird doch ein kleines Café im Nirgendwo der Welt zum Wendepunkt im Leben des gestressten Managers John. Eigentlich will dieser auf seiner Urlaubsfahrt direkt von der Büroetage an die Meeresküste von Hawaii in dem einsamen Café nur eine kurze Rast einlegen, weil er die Orientierung verloren hat, um einem unabsehbar langwierigen Stau zu entkommen. Aber er entdeckt neben dem Menü des Tages drei Fragen, die ihn in den Bann ziehen: „Warum bist du hier? Hast du Angst vor dem Tod? Führst du ein erfülltes Leben?“ Von Neugier gepackt, will er das Geheimnis lüften und begibt sich erwartungsvoll in das „Café der Fragen“, wie ein Neon erhelltes Schild in der eingetretenen Dunkelheit verkündet.

Während er des nachts bis zum Morgengrauen genussvoll ein einmalig opulentes Frühstück vertilgt, leisten ihm die Serviererin Casey, der Koch und Cafébesitzer Mike sowie deren Freundin Anne als Gast abwechselnd Gesellschaft und klären ihn in einfühlsamen, intensiven Gesprächen und mit trefflichen Beispielen aus dem Lebensalltag bis hin zum weisen Verhalten einer grünen Meeresschildkröte über die ungewöhnliche Komposition der drei Fragen und den implizierten  Sinn des Lebens auf. Dies geschieht nach und nach äußerst geschickt in einzelnen Gesprächsansätzen, wobei John im nachhaltigen Frage-Antwort-Spiel die entscheidenden Erkenntnisse selbst gewinnt und dadurch tief beeindruckt in seiner bisherigen Lebenseinstellung umgeprägt wird. Er begreift, weshalb er hier ist und lebt, warum wir Angst vor dem Tod haben und wie wir sie in einem erfüllten Leben überwinden können. Er findet mit Hilfe seiner klugen, erfahrenen Gesprächspartner seinen ZDE „Zweck der Existenz“ heraus und entwickelt seinen persönlichen Plan zur schrittweisen Veränderung seiner bislang zu wenig reflektierten Lebensweise, die ihn – von Werbung und Konsum verführt und auf der Jagd nach Geld und beruflichem Erfolg – vom eigentlichen Ziel seines Daseins abgehalten hat: nämlich im Leben vor allem das zu tun, was Spaß macht und der eigenen Bestimmung entspricht sowie im positiven Erleben das Glück herauszufordern und verblendeten Menschen mit der eigenen Begeisterung auf den richtigen Weg zu helfen, wie es die freundlichen, abgeklärten Vorbilder im „Café der Fragen“ tun.

Um den grundlegenden, ernsthaften Wahrheitsgehalt seiner netten, ja liebenswürdigen Erzählung über das ungewöhnliche Erlebnis im Café am Rande der Welt zu unterstreichen, schildert Strelecky zunächst in einem eher nüchtern gehaltenen Vorwort die Orientierungslosigkeit und Ausgangssituation des durch das Leben hetzenden Protagonisten. Und in gleicher Absicht schließt er seine fantasievolle Geschichte mit einem Epilog ab, der betont, wie der Erzähler in realistischen Schritten allmählich und pragmatisch sein Leben umgestaltet und nicht mehr zu seinem früheren Dasein hinter dem Tor der Erkenntnis zurückkehren will. Und es ist zu hoffen, dass das viel gelesene Buch mit seiner wichtigen Botschaft die Menschen erreicht und zum Umdenken animiert. 


Dr. med. Marianne Koch:
DAS VORSORGE-BUCH
Wie Sie Körper und Seele gesund erhalten
2. Aufl. München 2016 (dtv Taschenbuch)
Rezension von Dietrich Pukas 06.06.2019  

Marianne Koch, die einstige attraktive Schauspielerin und inzwischen berühmte Ärztin, bekannt aus Film und Fernsehen sowie Radiosendungen, ist auch noch eine erfolgreiche Medizinjournalistin und Bestseller-Autorin, von der Gesundheitsbücher wie „Körperintelligenz“ oder „Das Herz-Buch“ stammen. Im vorliegenden Werk geht sie dem wichtigen Thema „Vorsorge“ auf den Grund, das uns hilft, gesund alt zu werden und die geschenkte Zeit durch eine hohe Lebenserwartung zu genießen.

In einer verständlichen, persönlich ansprechenden, überzeugenden Sprache bringt sie uns anschaulich nahe, was sie als praktizierende, erfahrene Ärztin weiß und für aufklärungswürdig und empfehlenswert hält. Und sie braucht sich dabei nicht nur auf das Wissen der Experten sowie die Erlebnisse und Erfahrungen ihrer Patienten/-innen zu stützen, sondern sie lebt uns ihre Erkenntnisse und Empfehlungen selbst vor, wie ihre eigene Gesundheit und ihr blendendes Aussehen im hohen Alter von weit über achtzig Jahren beweisen.

Zunächst klärt sie uns darüber auf, was Vorsorge bedeutet, nämlich durch kluges individuelles Handeln unsere Lebensqualität dauerhaft zu erhalten, indem wir rechtzeitig mögliche Gesundheitsstörungen abwenden und gezielt typischen Krankheiten vorbeugen. Geschickt setzt sie bei der Ahnenforschung und den ererbten Genen an, um auf persönliche Schwachstellen und die wichtigsten Risiken aufmerksam zu machen. Dann kommen die Grundlagen der Vorsorge, die bereits in der Kindheit beginnt, lebenslanges Lernen und positives Denken ausmacht, an die Reihe: richtige Ernährung, viel Bewegung, Verzicht auf Rauchen, erholsamer Schlaf, ärztliche Hilfe und Früherkennung. Dabei haben wir das Glück, im 21. Jahrhundert zu leben, wo wir auf große Fortschritte der Medizin und aufschlussreiches Wissen für die Gesunderhaltung zugreifen können.

Marianne Koch erläutert die relevanten Krankheiten vom Husten und der Grippe über Herzkrankheiten, Schlaganfall, Adipositas, Arteriosklerose, Arthrose, Osteoporose, Rückenleiden, Krebs bis Alzheimer, Depressionen, Burnout-Syndrom. Sie beschreibt Körperfunktionen von Herz und Kreislauf, Immunsystem, Venen, Knochengerüst, Gehirn- und Nervenzellen, weist auf charakteristische Funktionsstörungen sowie krankhafte Auswirkungen hin, benennt einschlägige medizinische und ärztliche Abhilfemaßnahmen wie Impfen, Therapien, Operationen sowie deren Vorzüge und Gefahren, äußert Empfehlungen und Bedenken, gibt unablässig gute Ratschläge zur Selbsthilfe und Vorbeugung. Dazu stellt sie zwischendurch rhetorische Leserfragen und gibt auflockernde Antworten mit Augenmaß, auch zum Gehirntraining, Stressabbau, zur Entspannung, Meditation, Entschleunigung des Lebens, Resilienz oder psychischen Widerstandskraft, Stärkung des seelischen Gleichgewichts. Ein Anhang zur ärztlichen Vorsorge , Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sowie Sachregister rundet das angenehm lehrreiche Werk ab.

Ein Buch, das jeder lesen und sich als Nachschlagewerk anschaffen sollte.


Gabriella Engelmann
Eine Villa zum Verlieben – Roman
Taschenbuch Neuausgabe, München 2015 (Knaur) Rezension vom 01.01.2019

“Warmherzig , liebevoll und romantisch“ lautet das Motto auf der Cover-Rückseite und man kann dem als Leitspruch zustimmen. Jedoch handelt es sich um einen ungewöhnlichen Liebesromen, der sich auf verschlungenen Pfaden voller Lebendigkeit, Abwechslung und Überraschungen auf seinen abschließenden Höhepunkt zu bewegt und für die entzündete und brennende Fantasie der Leser/-innen bis zum Schluss genügend offen lässt, das eigene Denken anregt und die Adressaten hautnah ins Geschehen einbezieht. Denn die Probleme, Verhaltensweisen, Überlegungen, Zweifel, Ärgernisse, Enttäuschungen, das Zaudern, Zögern, Verzagen und Versagen ebenso wie die Glücksmomente, die Euphorie und Sehnsucht, das Erträumen von Herrlichkeiten, der Eifer, das stürmische Vorwärtsdrängen, Erfolg und Erfüllung sind uns vertraut, weil wir sie aus unserem eigenen Alltag kennen, miterleben, erhoffen, jauchzend und bangend nachvollziehen können – aus persönlicher Anschauung und der Kommunikation oder Auseinandersetzung mit unseren Mitmenschen.

Wie ist all das möglich – mit einer „Villa zum Verlieben“ im Zentrum, wie der Titel verheißt? Nun, das schöne Domizil steht im noblen Hamburger Stadtteil Eimsbüttel in der Nähe der Außenalster, bezieht sich auf authentische Lokalitäten sowie auf fantasievolle Traumorte. Hier werden drei recht unterschiedliche wohnungssuchende Frauen zusammengeführt, die nur Eines gemeinsam zu haben scheinen: ihre Begeisterung für die alte Stadtvilla im Herzen Hamburgs. Stella ist eine ehrgeizige Architektin, die aus feudalen Verhältnissen stammt und hoch hinaus will, aber mit ihrem verheirateten Liebhaber nicht ins Reine findet. Leonie ist nach einer enttäuschenden Jugendliebe in die Großstadt gekommen und arbeitet in einem Reisebüro, wo sie großen Zoff mit ihrer Chefin hat und zermürbend gemobbt wird; sie sehnt sich nach einem eigenen harmonischen Familienleben. Nina ist zerütteten elterlichen Familenverhältnissen entflohen, hat zudem eine gescheiterte Liebesbeziehung hinter sich; sie ist eine leidenschaftliche Gärtnerin und wirkt erfolgreich in einem renommierten Blumenladen, muss sich jedoch wegen Geschäftsaufgabe beruflich umorientieren und sorgt sich also um ihre berufliche Zukunft. Alle drei sind um die Vierzig, haben einschlägige Lebenserfahrungen und typisch menschliche Schwierigkeiten. Sie ziehen in die preisgünstigen drei Zweizimmer-Wohnungen der renovierungsbedürftigen Villa ein mit dem Vorsatz, jede auf ihre eigentümliche Art ein neues, besseres, zufriedeneres Leben zu beginnen.

Geschickt gelingt es der Autorin Gabriella Engelmann, die ungünstige Ausgangslage, die unterschiedlichen Lebenseinstellungen, Tagesabläufe, Charaktere, Verhaltensweisen der Frauen, ihre Animositäten und Sympathien, Zerwürfnisse und Versöhnungen, fortwährend auch innerhalb der einzelnen Kapitel alternierend, zu verknüpfen, was zunächst etwas gewöhnungsbedürftig sein mag, aber zwecks damit verbundener Spannungssteigerung gerne zu akzeptieren ist.  Im Laufe der Tagesereignisse werden aus den Kontrahentinnen – temporäre Rückfälle in die Separation eingeschlossen – drei Freundinnen für das Leben geschmiedet, die sich helfen, voneinander lernen, sich ergänzen, verändern und ein gemeinsames zukunftsfähiges Dasein in der Villa mit dem parkähnlichen Garten entwickeln. Dabei erweist sich als originell und überraschend, wie sie ihre beruflichen Probleme lösen, sich bei der Partnerfindung unterstützen, eine ungewollte Schwangerschaft meistern, ihre verzwickten Aufgaben mit Bravour bewältigen zum Vergnügen der Leser/-innen, die ahnungsvoll gerne der gelungenen Inszenierung folgen werden. 


Eben Alexander mit Ptolemy Tompkins:
Vermessung der Ewigkeit –
7 fundamentale Erkenntnisse über das Leben nach dem Tod
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Juliane Molitor
3. Aufl. München 2017

Rezension vom 24.06.2018

Das Buch stellt die Fortsetzung und Vertiefung der Konsequenzen aus der einmaligen Nahtoderfahrung des Gehirnchirurgen Dr. med. Eben Alexanders dar, die er in seinem Weltbestseller „Blick in die Ewigkeit“ anschaulich geschildert hat. Eine schwere bakterielle Meningitis hatte ihn 2008 für sieben Tage in ein tiefes Koma gestürzt und sein Bewusstsein völlig ausgeschaltet. Währenddessen erlebte er als sein wahres oder spirituelles Selbst eine fantastische, aber wirklich anmutende Reise ins Jenseits zu Gott im himmlischen Reich der Ewigkeit. Wie durch ein medizinisches Wunder kehrte er ins Leben zurück und wurde vollständig gesund, sodass er seitdem als aktueller Botschafter Gottes mit leidenschaftlichem Engagement den Menschen auf der Erde Hoffnung und Zuversicht spendet. Aufgrund einer ganzheitlichen Verbindung von Wissenschaft, Spiritualität und persönlicher Erfahrung erforscht er nun unser irdisches Leben im großen Rahmen der Geschichte und der spirituellen Entwicklung des Universums und ergründet die Unsterblichkeit unserer Seele als Bestandteil eines universalen Bewusstseins, wobei ihn eine Vielzahl betroffener Informanten und Helfer unterstützt hat und fördert.

Aus der Fülle dessen, was er alles an spirituellem Wissen hinter und über unserer konkreten, irdischen, in Zeit und Raum bestimmten Welt zusammen getragen hat und vor uns ausbreitet, greife ich einige schlüsselwortartige Aspekte auf. In der Einleitung setzt er sich auf vielfältige Weise mit dem Begriff der Realität auseinander, dass der Mensch nur zum Teil als Körper aus Erde gemacht ist, die Materie aus chemischen Elementen besteht und die chemische Struktur des Lebens auf Kohlenstoff basiert. Zudem findet ein ständiger Austausch der Elemente und eine Erneuerung der Körperzellen statt. Die also „handfeste“ Materie der uns umgebenden physischen Welt befindet sich im chemischen Wandel und laufend im Fluss. Demgegenüber präsentiert sich der „himmlische Teil des menschlichen Wesens“, nämlich unsere unsterbliche Seele durchaus als beständig und existent. „Liebe, Schönheit, Herzensgüte und Freundschaft“ seien „so real wie Regen, Butter, Holz, Stein, Plutonium, die Ringe des Saturn oder Salpeter“. Früher zweifelten die Menschen nicht daran, dass die spirituelle Welt real ist und Alexander zitiert den Quantenphysiker Max Blanck, der als Urgrund der Materie einen intelligenten Geist annahm. Die quantenmechanischen Experimente auf subatomarer Ebene sind auf unsere Vorstellungskraft und das Bewusstsein angewiesen, sodass Physik und Hirnforschung ein unabhängig vorhandenes Bewusstsein als Basis von allem, was ist, akzeptieren müssten. Daraus folgt die zentrale Bedeutung des Bewusstseins sowie die Einstufung des Menschen als spirituelle Wesen mit Seelen, die in einer geistigen Welt existieren, und als materielle Wesen mit Körper und Gehirn, die in einer materiellen Welt leben. So sollten wir uns der Wahrheit öffnen, die unsere Vorfahren noch kannten: „Es gibt eine größere Welt hinter der, die wir Tag für Tag um uns herum wahrnehmen.“ Nach Alexanders Verheißung erweist sich diese Welt liebevoller, als wir uns es vorstellen können, und tief in uns sollten wir nach der Erinnerung daran suchen, wobei uns das Buch leiten soll.

Im Rückgriff auf die großen vorchristlichen Denker Platon und Aristoteles sowie die Mysterienreligionen legt Alexander anschaulich dar, welches Wissen über die jenseitigen Welten bereits die Menschen der Antike hatten, und er fordert von den modernen Wissenschaften, dass sie daran anknüpfen sollten, um die universale Welt heute umfassend zu deuten. Er bezieht sich dabei auch auf sein Nahtoderlebnis, das als eine Art moderne Mysterieninitiation seine einst verengte Weltsicht als Hirnchirurg gewaltig verändert und für übersinnlichen Input geöffnet hat. So wurde er wie Andere ein „Eingeweihter“ und Bewohner zweier Welten und widmet sich der Mission, neue Eingeweihte oder Anhänger für ein höheres Weltverständnis zu gewinnen, in dem der Geist des Mystikers Platon und der des Realisten Aristoteles zusammen kommen einschließlich innovativer Methoden und Wege dorthin. Unter Bezugnahme auf Natur- und Geisteswissenschaftlicher wie Newton und Descartes führt er uns von der körperlichen Sehkraft in der äußeren, materiellen Welt unter die Oberfläche zum spirituellen Sehen in der inneren Sphäre des Geistes, der Seele und des universalen Bewusstseins. Das Aufregende für mich ist dabei, dass er seit seiner Nahtoderfahrung den Mystikern darin zustimmt, dass das „Himmelreich“ nichts Abstraktes, kein Wunschdenken oder keine Traumlandschaft ist, sondern dass es dort Objekte gibt wie Bäume, Felder, Menschen, Tiere, sogar Städte, Seen, Flüsse, Meere, Gewitterregen. Allerdings funktionieren diese Dinge nicht nach unseren irdischen Regeln, sondern nach den „Gesetzen der himmlischen Physik“. Sie sind ultra-real: „viel zu real, um real zu sein“, alles ist eins und hängt zusammen, ist ohne grundlegende Trennung; Raum, Zeit und Bewegung gehen in den spirituellen Modus über. Indes sei gewiss, dass wir dort landen und hingehören, wo uns die Liebe in uns und als „Essenz des Himmels“ leitet. Und wir sind gut beraten, Liebe, Mitgefühl, Vergebung, Ehrlichkeit bereits im Diesseits walten zu lassen, denn die Liebe (die Gott ist) besteht in beiden Seinsbereichen und bleibt uns erhalten.

Im Gesamtzusammenhang hält Alexander ein Plädoyer für den Glauben, weil er die Gläubigen stark macht, insofern er eine feste Zuversicht auf das ist, was man erhofft. Wissenschaft bzw. Wissen und Glaube sind als beide Arten von Weltverständnis eng miteinander verflochten und haben unsere Kultur geformt. Wissen setzt den Glauben voraus, um die Welt verstehen zu können. Denn wir müssen glauben, dass sie einen Sinn hat und für dieses Verständnis offen ist, was die unabdingbare Glaubenskomponente hinter jeder Art von Wissenschaft ist und den geistigen Bereich als real erweist. Und der Mensch ist mehr als die einfache irdische Person, er muss bereit sein zu sterben, um das größere Wesen der himmlischen Person zu werden. Das können nicht die empirische Psychologie und Hirnforschung ergründen, dazu sind wissenschaftliche Befragungen nach mystischen Erfahrungen und Erleuchtungserlebnissen angebracht. Damit könnte begriffen werden, dass „unsere Odyssee durch die Materie“ kein Test ist, sondern die Evolution des Kosmos selbst mit uns als Hoffnungsträger Gottes. Jedenfalls liegt es in der Verantwortung der Wissenschaftler, kein Wissen zu unterdrücken, wie heikel es auch sei. Wissenschaft, Religion und Spiritualität müssen als Partner betrachtet werden und als solche agieren, damit das Universum ganzheitlich erschlossen, auch das Leid auf der Welt als Drama der irdischen Existenz relativiert und überwunden werden kann, indem wir die Fesseln des Lebens in der linearen Zeit sprengen und uns (wieder) zu dem multidimensionalen Wesen entfalten, das wir im Kern immer sind und in früheren bzw. östlichen Religionen übereinstimmend als Teil Gottes in uns selbst angesehen wurde und das Göttliche zum Zentrum aller Gipfel und Mittelpunkte macht.

In seinem Schlusswort des Buches hat mich Alexander auch noch mit einer unerwarteten Überraschung verblüfft. Er stellt den Sinnspruch voran: Wer das Geheimnis des Klanges enträtselt, der kennt das Mysterium des gesamten Universums. Wie wir von seinem Nahtodereignis wissen, „bildeten Musik, Klang und Schwingungen Schlüssel für den Zugang zum gesamten Spektrum der geistigen Reiche“ – von der „kreisenden Melodie aus reinem weißem Licht“ bis hin zu den Engelschören und schließlich zu Om, der Gottheit des Urklanges (in der hinduistischen Tradition). Dieses Erlebnis mit dem Om als dem Ursprung von allem Existierenden hat Alexander zur Klangforschung geführt, wo ihm mit dem Einsatz von Musik und Manipulationen von Klangfrequenzen ein ungewöhnlicher Ausflug in tief transzendente Bewusstseinszustände ermöglicht wurde. So wollte er die Informationsarbeit seines Neokortex im Gehirn neutralisieren, um die großartige Bewusstseinserweiterung während seiner Jenseitsreise nachzuahmen, indem er seine Gehirnwellen mit bestimmten Frequenzen synchronisierte. Und es gelang seit 2011, mit Hilfe ausgeklügelter Techniken von erfahrenen Klangspzezialisten und Audio-Komponisten das Gehirn in wachem Zustand von außen durch elektrisches Stimulieren so zu beeinflussen – da im subatomaren Bereich alles Schwingung ist –, dass ihm wie auch Anderen vorübergehend in Klang gestützten Meditationen tiefgründige, spirituelle Erlebnisse wie aus seinem Koma-Geschehen zuteil wurden. Und was zudem erstaunlich ist, die Klangforscher griffen zur Gestaltung ihrer Verfahren auf archaeoakustische Untersuchungen, nämlich das Studium der akustischen Eigenschaften alter Kultstätten zurück. Man hat festgestellt, dass etwa die Große Pyramide von Gizeh in Ägypten und die prächtigen mittelalterlichen Kathedralen auf der Welt wie Notre-Dame de Chartres so gebaut wurden, dass ihre Gebäudestruktur bestimmte Klänge verstärkt. Orgelmusik und Chorgesänge bescherten den Gottesdienstbesuchern in Resonanz mit der besonderen Akustik erhebende spirituelle Erlebnisse, die sie dem Göttlichen nahe sein ließen. Alexanders Schlussappell: Wir sollen unsere Achtsamkeit kultivieren und die Tiefe sowie wahre Natur unseres Bewusstseins, unsere persönliche Verbindung zu allem, was ist, selbst erforschen. Seien wir dazu bereit, mit Alexanders Büchern können wir den Einstieg wagen! Jedenfalls können wir am Ende rational und emotional begründet an die Unsterblichkeit unserer Seele glauben und auf ein in Gott gefügtes Jenseits hoffen (vgl. ausführlicher D. Pukas: Philosophie zwischen Wissbarkeit und Glaube 2018).


Jasmin Schindler
Gestatten: Hochsensibel. Wie hochsensible Menschen den Alltag meistern
1.Auflage 2017 (www.healthyhabits.de
Rezension vom 23.03.2018

Im Unterschied zu meinen üblichen Rezensier-Gepflogenheiten sowie der Thematik und direkten Ansprache im vorliegenden Werk angemessen, halte ich meine Buchbesprechung recht persönlich. Im Zusammenhang mit Patrick Hundts „ausgezuckert“-Veröffentlichung bei Healthy Habbits bin ich als Diabetiker auf Jasmins Thema „hochsensible Menschen“ (HSPs) aufmerksam geworden. Das weckte mein Interesse, weil ich mich bislang schon für ziemlich introvertiert und sensibel hielt und mich feinfühliger wähnte als die Mitmenschen ringsum. Also wollte ich erfahren, wie HSPs sind, was sie umtreibt, ob ich dazu gehöre und was ich von ihnen lernen könnte. Nach der angenehmen, aufschlussreichen Lektküre muss ich sagen: Es ist eine gute Fügung, dass ich an das ungewöhnliche Werk geraten bin, dadurch mein Wissen erweitern, meine Umgebung noch bewusster wahrnehmen und mein Leben bereichern kann. In diesem Sinne möchte ich dazu beitragen, dass auch Andere davon profitieren mögen.

Jasmin Schindler, keine professionelle Psychologin oder Therapeutin, sagt: „Es ist ein Buch von HSPs für HSPs“, insofern sie anhand zahlreicher authentischer Erfahrungsberichte von Hochsensiblen vor allem anderen Betroffenen helfen will, sich wieder zu erkennen und verstanden zu fühlen, damit sie sich das Leben leichter machen und sich weiterentwickeln können. Denn hochsensible Menschen plagen sich infolge ihrer feinfühligen Veranlagung mit etlichen Problemen, die „Normalos“ als solche nicht empfinden, nicht kennen und erkennen, nicht berücksichtigen, sodass sich die HSPs von ihnen nicht verstanden sehen und vielfach abgeschreckt werden. Jasmin zeigt ihnen, dass sie als Betroffene oft mit den gleichen Schwierigkeiten hadern, gegen Reizüberflutung und Abgrenzung kämpfen oder in ihrem „Gedankenkarussell“ gefangen sind. Das führt allzu häufig zu Selbstzweifeln bis hin zum Verzweifeln, auch zum Allein-Gelassen-Sein mit seiner zartbesaiteten Eigenart, schließlich zur inneren Leere und Ausgezehrtheit. Aber die besonders empfindsamen Eigenschaften erweisen sich nicht nur als Schwäche, sondern bergen auch Stärken zur Selbstbehauptung durch den fein erspürten und geschickten Umgang mit Gleichgesinnten und den Anderen. Aufgrund ihrer breiten Recherchen unter aktiven HSPs bis in die USA und ihrer eigenen erschöpfenden Erfahrung hat Jasmin zwölf hilfreiche Strategien entwickelt, die zum Abschirmen vor Gefährdungen zum und Aufladen der „Akkus“ animieren, andererseits zum Überwinden der Bequemlichkeit sowie zur Entfaltung der Persönlichkeit ermutigen.

Die von Jasmin in Bezug auf die zwölf Gewohnheiten von HSPs ermittelten und geschilderten Probleme und Komplikationen kenne ich durchaus aus eigener Anschauung und persönlichem Erleben, ich verstehe auch ihre Zuspitzung ins Extreme in den Beispielfällen und besonderen Lebensläufen der HSPs und kann die Strategien zu ihrer Bewältigung im Alltag rational nachvollziehen. Das betrifft als Erstes den Grundsatz, die eigene Hochsensibilität zu akzeptieren, die im detaillierten Wahrnehmen und tiefen Verarbeiten von Reizen sowie intensiven Empfinden und Erleben der Umwelt besteht. Also sollte man über das typische Grübeln, Analysieren, Zweifeln zur Selbstanerkennung und zum Selbstwertgefühl finden, indem man den Wunsch nach Normalität relativiert und sich um den Kontakt mit Gleichgesinnten bemüht. Des Weiteren gilt es, sich auf seine Stärken zu konzentrieren, wenngleich man die Schwächen nicht ausblenden, sondern positiv wenden bzw. umdeuten sollte. Die charakteristische und gute Eigenart, sich zu vertiefen, darf weder in Verzettelung noch Erschöpfung ausarten, sondern ist in gezielter Konzentration zu effektiven und zufrieden stellenden Ergebnissen umzusetzen. Sinnvolle Ratschläge zum „Aufräumen als Reinigungsprozess“ sowie „Ausmisten gegen Reizüberflutung“ schließen sich konsequent an. Unter der Überschrift „Input reduzieren“ folgen Empfehlungen zum geeigneten, schonenden Umgang mit der digitalen Umgebung: Einschränkung des Nachrichtenkonsums, Mediendiät, dosiertes Telefonieren, E-Mail-Reduktion, Apps löschen, Einsatz sozialer Medien, Lärmschutz, Erholungsphasen. In der heutigen hektischen Zeit und stressigen Arbeitswelt ist es für die Hochsensiblen, die meist auf Dauerempfang eingestellt sind und zur Perfektion neigen, besonders wichtig, mit ihrer Energie zu haushalten und den verdichteten Arbeitsmodus mit den vielfältigen Möglichkeiten aktiver Entspannung und gesunder, ganzheitlicher Lebensführung (Trio: Essen, Bewegung, Schlaf) erträglich zu gestalten. Die weiteren Strategien erstrecken sich auf Vorschläge zum „Kopf abschalten“ (Atmung, Entspannung, Meditation), „Sich mit Gleichgesinnten umgeben“ (HSP-Gruppen, Facebook, spezialisierte Blogs und Foren), „Nicht gefallen wollen“ (Nein sagen, Sucht nach Lob und Anerkennung widerstehen), „Sich abgrenzen“ (von eigenen Ansprüchen, anderen Menschen, Leid, effektiver Altruismus), „Seine Komfortzone ausdehnen“ (Bequemlichkeit überwinden, Gewöhnung überprüfen, Neues erproben), „Mehr spielen“ (Burn-out vermeiden, Lockerlassen, kreatives Gestalten).

Wie Jasmin treffend feststellt, gelten die Ratschläge zwar im Besonderen zur Problemlösung für die Hochsensiblen, betreffen im Grunde jedoch mehr oder weniger relevant alle Menschen, da Hochsensibilität ein weites Feld mit fließenden Übergängen darstellt, sich nicht messen und nicht von normaler bzw. weit verbreiteter feinfühliger Veranlagung abgrenzen lässt. So kann ich mich selbst hier auch nicht eindeutig zu ordnen. Ich bin ein sehr nachdenklicher Mensch, denke über vieles und etliches recht vertieft nach, habe mich mit zahlreichen Wissenschaften befasst und ein großes Themenspektrum schreibend bearbeitet. Mein breites rationales Interesse schließt emotionales Engagement und Elemente hoher Erregung ein, lässt mich Glücksmomente intensiv erleben und bei Schicksalsschlägen in niederschmetternder Trauer versinken, was ich sicherlich als hochsensibel strukturiert verbuchen kann. Aber bei mir „heilt die Zeit alle Wunden“, bevor Dauerschäden entstehen. Zwar vergisst man das Unglück oder ungerechte Ereignis nicht, jedoch tut es bald nicht mehr weh und hemmt nicht die persönliche Entwicklung. Der Grundstein für diese Abhärtung gegen die Unbill des Lebens wurde bereits in meiner Kindheit und Jugend in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit gelegt, während mein ererbter Diabetes mir seit über 30 Jahren eine disziplinierte Lebensweise abfordert, wenn ich gesund und ohne Folgeschäden bleiben will; er ist nicht abzuschüttelnde Plage und Messstation für den Emotionspegel zugleich. Auf diese Weise hat meine Sozialisationsgeschichte eine abstumpfende Wirkung auf mein Gemüt gehabt und hält meine allzu sensible Ausprägung im Zaume, vielleicht als eine Art latente natürliche Überlebensstrategie. Meine Technikbegeisterung habe ich übrigens mit meiner Naturverbundenheit – wie ich meine – in ein ausbalanciertes, verträgliches Verhältnis gebracht, z. B. Ressourcen-Schonung durch Reparieren kaputter Gegenstände und Einrichtungen oder Verminderung des noch zu wenig erforschten Elektrosmogs, der die Kommunikation der Körperzellen stört und unbeachtet die Gesundheit beeinträchtigt.

Jedenfalls hat mich die Buchlektüre zum Nachsinnen über mein Dasein gebracht und ich gewahre Veränderungsbedarf zur Verbesserung der Verständigung mit meinen Mitmenschen. Möglicherweise kann ich mit meinen hinzu gewonnenen Einsichten jetzt eher Leute mit hochsensiblen Antennen in meinem unmittelbaren Umfeld ausmachen und mit ihnen Kontakt aufnehmen und pflegen. Deshalb hoffe ich und wünsche, dass der Buchtitel nicht die weniger Sensiblen ablenkt, sondern deren Neugier weckt und ihnen ebenfalls zu wertvollen Erkenntnissen verhelfen kann.


Eben Alexander: Blick in die Ewigkeit –
Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen
Aus dem Englischen übersetzt von Juliane Molitor
9. Aufl. München 2016

Rezension vom 03.01.2018


Dr. med. Eben Alexander, Neurochirurg und Harvard-Dozent aus Boston USA, hatte bereits 25 Jahre Berufserfahrung und war international renommiert, als er im November 2008 plötzlich und ohne ersichtlichen Grund an einer seltenen, schweren Hirnhautentzündung, bakteriellen Meningitis, erkrankte, die ihn für sieben Tage in ein tiefes Koma stürzte und an den äußersten Rand des Todes brachte.

Dabei erlebte er eine faszinierende Reise ins Jenseits, die alle bisher bekannten Nahtoderlebnisse nach Dauer, Ausmaß, Intensität und Herrlichkeit bei weitem übertrifft und ihn als nüchternen Gehirnspezialisten von seiner verfestigten Skepsis gegenüber diesen Ereignissen abkehrt und ihn nun im rasanten Wandel seiner seitherigen Grundeinstellung zur engagierten Erforschung der Nahtodphänomene und außerkörperlichen Existenz führt. Waren die berichteten Nahtoderfahrungen der Betroffenen, auch seiner OP-Patienten, früher für ihn kaum beachtenswert, weil er sie als im Gehirn indizierte Fantasien während des Ringens mit dem Tode ansah, so erscheinen ihm nun seine eigenen fantastischen Erlebnisse in der anderen, gottnahen Welt als höchst realistisch, lassen ihn einen völlig neuen Blick auf das Leben und Sterben werfen, bringen ihn zur Überzeugung, der Tod ist nicht das Ende unseres Daseins, sondern der Übergang in eine wunderbar höhere Sphäre und er müsse mit dieser „himmlischen“ Botschaft den Menschen auf der Erde Hoffnung und Zuversicht spenden.

Zwar erweist es sich ihm als schwierig und unvollkommen, sein entfesseltes, von der einengenden Körperlichkeit sowie den naturgesetzlichen Dimensionen auf der Erde und im Universum befreites Erleben in menschlicher Sprache wiederzugeben. Jedoch mit Hilfe seiner Ermunterer, Berater, redaktionellen Helfer, Übersetzerin, nicht zuletzt seiner eigenen sprachlichen Befähigung ist es gelungen, das Außerordentliche, Unermessliche, Unvorstellbare, kaum Beschreibbare, der verbalen Kommunikation Entledigte angemessen in Wörter und Worte zu kleiden und uns Schwerkraft sowie Gehirn verhafteten Erdenbürgern einen erahnbaren Eindruck davon zu vermitteln: vom engelhaften, gottnahen Geschehen, von der ungeheueren Güte und bedingungslosen Liebe, Glückseligkeit, Angst- und Furchtfreiheit in der strahlenden Licht- und durchdringenden Klangatmosphäre des himmlischen Zentrums wahrer spiritueller Existenz. Der beschwingte Flug dorthin mit Engelbegleitung auf einem überdimensionalen Schmetterlingsflügel erfolgte indes, nachdem er den idyllischen transirdischen Übergangsbereich erreicht hatte, während er sich auf seiner Jenseits-Besichtigungstour zuvor aus dem Reich der „Regenwurm-Perspektive“, bereits ohne Zeit- und Körpergefühl, durch die dunkle, schlammige Unterwelt wie in einem gewaltigen Mutterleib kämpfen musste. Er war an diesem groben, etwas gruseligen Ort, der mehr nach biologischem Tod denn Leben roch, kein Mensch, sondern „einfach nur ein einsamer Bewusstseinspunkt in einem zeitlosen rot-braunen Meer“. Diesen uranfänglich anmutenden Zustand des Seins, wie er zu Beginn des Lebens bestanden hat, musste er bei seiner Rückkehr auf die Erde wieder passieren, um in den sperrigen physischen Existenzmodus mit seinen raum-zeitlichen Grenzen, seinem linearen Denken, seiner beschränkten sprachlichen Verständigung zu gelangen.

Sein plötzliches, unerklärliches Erwachen aus dem Koma erfolgte nach einer Woche, als seine Arztkollegen, die alles erdenklich Machbare unermüdlich für sein Überleben getan hatten, beschlossen, die Antibiotika abzusetzen, weil sie die ganze Zeit keinerlei Besserung der minimalen Gehirnfunktionen brachten, die kein Bewusstsein mehr ermöglichten. Diese Auferstehung glich einem medizinischen Wunder, dem ein zweites folgte, nämlich die allmähliche vollständige Genesung Alexanders einschließlich seines profunden medizinischen Wissens und ärztlichen Könnens. Indessen handelte es sich um einen doppelten Präzedenzfall, insofern er als der erste und einzige Patient (N von 1) für dieses Krankheits- und medizinisches Behandlungsmuster fungierte sowie andererseits sein Nahtoderlebnis von ganz besonderer Art war. Denn im Gegensatz zu allen anderen Nahtoderfahrungen, die allesamt nicht solange dauerten sowie in gehirnbasierten, auf das irdische Menschsein bezogenen Bewusstseinszuständen stattfanden, fühlte sich Eben Alexander während seines gesamten Jenseitserlebnisses völlig frei von seiner körperlichen Identität, nämlich als eine gelassene Seele, der „Zugang zu dem wahren kosmischen Wesen …, das wir alle sind“ gewährt wurde. Sein tiefes Koma beruhte darauf, dass sein gesamter Neokortex – die Funktion der Hirnrinde, die unser Bewusstsein und damit Menschsein nach den Erkenntnissen der Neurowissenschaft erzeugt, nachgewiesener Maßen durch den E.-coli-Bakterien-Befall völlig ausgeschaltet war. Nur einige primitive Hirnteile für die haushälterischen Grundfunktionen waren noch in Betrieb – das Stammhirn im Zustand „coma vigile“ (eine Art Warteschleife), sodass ihm die schwere Meningitis eine einmalig intensive Nahtoderfahrung bescherte, welche sein Wesen und sein Leben danach nachhaltig änderte.  

Eben Alexander war immer noch Arzt und Wissenschaftler und wollte als solcher zur Wahrheit und Heilung beitragen, indem er seine ungewöhnliche Geschichte weitererzählte, insbesondere versuchte, seine Arztkolleginnen und -kollegen von der Realität seiner Erlebnisse und Erkenntnisse zu überzeugen. So überprüfte er seine Nahtoderfahrung anhand seiner dokumentierten Krankheitsgeschichte nach wissenschaftlichen Kriterien und kommt zum Schluss, dass die materielle Welt nicht alles sei, was existiert, sondern dass es unser Bewusstsein unabhängig vom Gehirn gebe und es ein höherdimensionales Universum umspanne, begründet in Gott, dem allmächtigen und allgegenwärtigen Schöpfer, und eingebettet in eine grenzenlose spirituelle Welt. Damit ist er zum aktuellen Botschafter Gottes geworden und widmet sich nicht nur persönlich der Aufklärung weiterer Nahtoderlebnisse (www.ebenalexander.com), sondern er hat die gemeinnützige, mit öffentlichen Mitteln unterstützte Wohlfahrtseinrichtung „Eternea“ (www.Eternea.org) gegründet mit dem Ziel, Forschung, Bildung und anwendungsorientierte Programme im Bereich der spirituell transformativen Erfahrungen, Physik des Bewusstseins, interaktiven Beziehung zwischen Bewusstsein und physikalischer Realität (Materie, Energie) zu fördern, und zwar im Bestreben, der „bestmöglichen Zukunft für die Erde und ihre Bewohner zu dienen“.  

Als Rationalist und Skeptiker gestehe ich, dass mich Alexanders Nahtoderfahrung, wenn ich sie selbst so erlebt hätte, wohl auch vom „Leben nach dem Tod“ im Sinne eines unsterblichen universalen Bewusstseins restlos überzeugt hätte. Die verbale Übermittlung beeindruckt mich durchaus stark, aber der Präzedenzfall-Charakter lässt einen gewissen Zweifel zu, dass es letztlich doch noch anders sein könnte. Dennoch hoffe und wünsche ich, dass unser Schicksal, unsere Welt und Zukunft so gnadenvoll in einer göttlichen Schöpfung und Fügung geborgen sein möge, wie es Alexander beschreibt. Deshalb ist dem Buch weiterhin eine große Verbreitung und seiner „Eternea“ viel Erfolg zum Wohle der Menschheit zu wünschen. Und ich werde mich bald der spannenden Lektüre des neuen Buches „Die Vermessung der Ewigkeit – 7 fundamentale Erkenntnisse über das Leben nach dem Tod“ von Eben Alexander (Leseprobe: www.heyne.de) widmen.    


Patrick Hundt: Ausgezuckert – Wie du vom Zucker loskommst
2. akt. erw. Aufl. 2016 (www.healthyhabits.de)
Rezension vom 20.11.2017

Aufgrund seiner „zuckrigen Vorgeschichte“, d. h. seiner leidvollen Erfahrungen mit einem nahezu ungezügelten Zuckerkonsum seit seiner Kindheit und Jugend hat Patrick Hundt eine brauchbare Strategie entwickelt, wie man seine langfristig angeeignete Zuckersucht infolge der verführerischen Umgebung und angestammten Gewohnheiten nachhaltig und ohne Überanstrengung überwinden kann. Dazu setzt er auf unsere Vernunft und erläutert die Wissensgrundlagen, um uns die Problematik zielgerichtet bewusst zu machen, uns zu überzeugen und zu motivieren, damit wir uns die verfestigten gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen abgewöhnen und durch neue bessere ersetzen können.

So öffnet er uns die Augen über den Zucker in Früchten und Fertigware, indem er die Funktionen von Glucose und Fructose sowie Ballaststoffen in unseren Lebensmiteln darstellt. In diesem Zusammenhang schärft er unseren Blick für die Nährwerttabellen auf den Verpackungen der Produkte im Supermarkt. Denn wir verzehren in der Regel viel mehr Zucker, als uns bewusst ist, weil wir die in unserer Nahrung versteckten zuckerähnlichen Stoffe nicht erkennen, jedoch verringern oder vermeiden müssten, da sie werbewirksam mit Begriffen wie „weniger süß, reduzierter Zuckergehalt, zuckerarm, zuckerfrei“ verschleiert werden. Daran knüpft Hundt Erklärungen, wie Zucker im Körper aus Glucose und Fructose Fett macht, die Insulinresistenz fördert und die Fettverbrennung behindert, als Folge Kranheiten verursacht und Diabetes sich zur lawinenartigen Volkskrankheit ausbreiten lässt.

Als besonders schlimm erweist sich, dass Zucker süchtig macht, insofern er im Gehirn die gleichen Aktivitätsmuster wie Drogen erzeugt, wobei Gene und eigene Lebensgeschichte eine Rolle spielen. Wer sich früh im Leben an Süßes gewöhnt, spürt weiterhin ein Verlangen danach, oft mit steigender Tendenz. Ein erhöhter Insulinspiegel stoppt das Sättigungssignal und verführt uns zum Weiteressen, was durch unsere „zuckerhaltige Umgebung“ begünstigt wird. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gibt Hundt die Hoffnung auf ein schnelles Umdenken verloren, aber im individuellen Bereich macht er sich um so mehr für eine Veränderung stark, indem er engagiert für eine Umsteuerung unserer Gewohnheiten eintritt. Er zeigt wiederholt an Beispielen im täglichen Leben, wie wir Widerstände gegen schlechte Gewohnheiten aufbauen und Widerstände gegen gute Gewohnheiten senken müssen. Dazu gilt es, Ausdauerqualitäten zu entwickeln, indem wir mit Hilfe unseres Verstandes und Denkens die Ernährung umstellen, die Auslösereize unserer Laster erkennen, pragmatische Vereinbarungen mit uns selbst treffen, Aufgaben festlegen, Fortschritte messbar machen, uns Belohnungen schaffen. Am eigenen Vorbild unterbreitet uns Hundt in sieben Schritten praktische und selbst erprobte Vorschläge, wie wir vernünftige Konsumgewohnheiten gestalten und einen maßvollen Umgang mit Zucker einschließlich Berücksichtigung des sozialen Umfeldes sowie Bewältigung von Entzugserscheinungen pflegen können.

Hinweise zu einem „Anti-Zucker-Kurs“ als E-Mail-Kurs bei „Healthy Habits“, zuckerfreien Rezepten oder einer Rückmelde-Möglichkeit unter „zucker@healthyhabits.de“ runden das lesenswerte und nützliche Buch ab, das nicht nur Diabetikern, sondern allen gesundheitsbewussten Menschen wärmstens zu empfehlen ist.


Markolf H. Niemz: Bin ich, wenn ich nicht mehr bin? Ein Physiker entschlüsselt die Ewigkeit
2. Aufl. Freiburg i. Brsg. 2011 (Kreuz)
Rezension vom 21.10.2017


In einer Theorie ganzheitlichen Denkens greift der Physiker Markolf H. Niemz auf Erkenntnisse der Naturwissenschaft, Sterbeforschung und Religion zurück, um die letzten Fragen unserer Existenz nach Unsterblichkeit, Jenseits, Ewigkeit, Gott schlüssig zu erklären.

Dazu setzt er bei der Natur an und konstatiert: Irgendetwas bewirkt, dass überall im Kosmos Naturgesetze gelten wie Energie = Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat (E = m c2 ). Dies hat nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip eine Quelle, einen Urgrund übergeordneter Vernunft, was Niemz Gott nennt, den man sich jedoch nicht als ein Beziehungswesen personal vorstellen muss, sondern abstrakt als Schöpfungs-Prinzip – als Schöpfer und Schöpfung zugleich – auffassen kann.

In der Natur gibt es zudem Zufälle wie z. B. genetische Mutationen. Sie sind für eine freie Entfaltung nötig und erweisen das Leben als ein Spiel, bei dem das Erschaffen von Liebe und Wissen eine entscheidende Bedeutung hat. Zur Natur gehören Lebewesen wie Pflanze, Tier, Mensch. Jedes Lebewesen kann fühlen und lernen, was Niemz als „Sinn des Lebens“ definiert. Sogar beim Sterben als Teil des Lebens können wir noch fühlen und lernen und Nahtoderfahrene erlebten schon eine eigene Lebensrückschau als Himmel oder Hölle. In der Natur sind absolute Werte wie Liebe und Wissen wichtig, welche gefühlt und gelernt werden und die Seele ausmachen. Die Liebe erweist sich als absolut, wenn sie z. B. aus dem Liebenden und Geliebten ein Ganzes gestaltet. In der Natur kommt der Tod vor. Nahtoderfahrene berichten oft von einem Flug ins Licht, das immerhin im Diesseits und Jenseits gleichermaßen vorhanden ist.

Die Perspektive des Lichts sieht Niemz als Ewigkeit an, weil für das Licht jede räumliche und zeitliche Distanz den Wert null hat. Dort sind ohne Nacheinander keine Entwicklung und kein Leben nach dem Tod möglich. Beim Sterben könnte die Seele sozusagen auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden, um ins Licht einzutauchen, während die Summe aller Seelen das Jenseits darstelle, in dem alle Liebe und alles Wissen im Licht gespeichert seien. Nach Niemz´ Theorie muss Gott allerdings keine Wunder vollbringen, um das Böse und Katastrophale in der Welt gütig abzuwenden, wie es vom Allmächtigen nach der sogenannten Theodizee-These erwartet wird. Denn nach den Berichten von Nahtoderfahrenen existiere über das Ich des einzelnen Menschen hinaus etwas viel Wertvolleres, nämlich seine im Leben verwirklichte Liebe und sein erworbenes Wissen, welche als Seele mit dem Tod ins Licht eintauchen und vereint mit den anderen Seelen das Jenseits in Ewigkeit füllen.

In die Ausdifferenzierung seiner Argumentationskette bezieht Niemz sowohl die Evolutionstheorie als auch die Relativitätstheorie und Quantentheorie ein. Die wichtigste Botschaft aus der Evolutionstheorie (Charles Darwin) lautet: Das Leben ist ein Wechselspiel mit Regeln und Zufällen; alle Lebewesen brauchen sich gegenseitig, um die Entwicklung voran zu bringen und das Gesamtwerk entstehen zu lassen. Die relevante Erkenntnis aus der Relativitätstheorie (Albert Einstein) ist, dass absoluter Raum (umrandeter Weltraum) und absolute Zeit (begrenzte Weltzeit) Illusionen sind und nur verschiedene räumliche und zeitliche Distanzen existieren, die von der jeweiligen Perspektive abhängen, ein Gegenüber von Menschen ermöglichen und zum Beziehungsaufbau genutzt werden sollten. Die Quantentheorie (Werner Heisenberg) trägt zu einem zeitgemäßen Weltbild die Einsicht bei, dass Alles mit Allem zusammenhängt, die gesamte Materie einschließlich Körper durch Quanten oder kleinste Energieeinheiten zusammen gehalten wird, sodass wir in unserem tiefsten Innern gar keine Individuen, sondern etwas miteinander Verbundenes, nämlich eine Ganzheit sind. Daraus ergibt sich nach Niemz die Lebensweisheit: Anderen zu helfen bedeutet sich selbst zu beschenken, andere zu übervorteilen sich selbst zu schaden.

Für die Wissenschaft resultiert daraus, dass sie alles einbeziehen und allumfassend sein sollte, weshalb Niemz für seine Theorie noch die wesentlichen Botschaften aus Sterbeforschung und Theologie bzw. Religionen heranzieht. Die Sterbeforschung untersucht die Erlebnisse klinisch Toter, die vor dem endgültigen Aussetzen aller Organfunktionen wieder ins Leben zurück gekehrt sind und übereinstimmend von folgenden Nahtoderfahrungen als Ablaufphasen berichteten:
Gefühl des Entspanntseins, Friedens, großer Harmonie;
Außerkörperliche Erfahrung durch Vision, den Körper zu verlassen;
Flug durch einen dunklen Raum, Tunnel, Höhle, Tal;
Begegnung mit einem hellen Licht von magischer Anziehungskraft;
Jenseitskontakte mit Verstorbenen,
Rückschau auf das vorbei ziehende eigene Leben.
Der Zeitpunkt der Wiederbelebung bricht mit der Rückkehr in den eigenen Körper – oft bewusst und schmerzhaft erlebt – jede Nahtoderfahrung früher oder später ab. Wer bis zur letzten Phase vorgedrungen ist, empfand meist die Liebe und das Wissen als die höchsten Werte des Lebens, woraus Niemz die Folgerung zieht, dass Fühlen und Lernen den Sinn des Lebens ausmachen und man sie zu Lebzeiten pflegen sollte. Diese Bewusstseinserweiterung Sterbender hält Niemz nicht für „visuelle Wahrnehmung“, sondern er nimmt an, dass sich das Bewusstsein durch die Ausbreitung der Seele ins Licht (vielleicht masselos mit Lichtgeschwindigkeit) erweitert. Dass die Seele noch nicht experimentell nachgewiesen ist, sieht Niemz nicht als Gegenbeweis für ihre Existenz und nicht als Widerlegung seiner Theorie an.  

Hinsichtlich seiner Analyse der Weltreligionen stellt Niemz fest, dass seine Definition der Begriffe für Gott, Seele, Jenseits, Ewigkeit eine „logische Schnittmenge“ der religiösen Kernaussagen darstellt, was auch für den hohen Stellenwert der Liebe und des Wissens bzw. der Erleuchtung bei den Religionen zutrifft und seine Theorie stützt. Das mag zwar tröstlich sein, jedoch erweist sich die naturwissenschaftliche Fundierung des abstrakten Gottes als Schöpfungsprinzip und die Abkehr vom personalen Gott durch den Naturbegriff als Regeln und Zufälle eher als schmerzliche Erkenntnis. Ähnlich ambivalent stellt sich die an sich positive Wertgerichtetheit der Entwicklung des Lebens und der materiellen Welt einschließlich Evolution heraus. Wenn wir nämlich der Definition der Ewigkeit als Perspektive des Lichts beipflichten, aus der jede Distanz den Wert null hat, dann kann es keine Entwicklung und kein Leben nach dem Tod geben, weil der Körper sterblich und endlich ist, während sich das Licht physikalisch gesehen mitten unter uns in der Gegenwart und gleichfalls in der Ewigkeit befindet. Ebenfalls kann man sich Niemz‘ Auffassung vorstellen, dass Fühlen und Lernen den Sinn des Lebens ausmachen und die Seele in gefühlter Liebe und gelerntem Wissen besteht. Schwieriger nachvollziehbar und dem Glauben aufgegeben dürfte es sein, dass die immaterielle Seele mit dem Tod ins Licht und ins Jenseits einfließt und dort mit aller gefühlten Liebe und jedem gelernten Wissen durchdrungen sowie allen Seelen vereint ewiglich im Licht gespeichert werde.

 Zwar führt Niemz hier als Argument ferne Erinnerungen von Nahtoderfahrenen an nicht selbst erlebte, nicht mit eigenem Wissen belegte, jedoch echte Ereignisse auf. Aber m. E. ist einzuwenden, dass die klinisch Toten noch nicht die Grenzüberschreitung ins Jenseits wirklich vollzogen haben und Mediziner die Nahtoderfahrungen als ein letztes, außerordentliches Aufbäumen des Körpers und der Sinne auslegen, weshalb es doch Diesseitserfahrungen sind, möglicherweise im tiefsten Innern der Quanten-Sphäre, wo alles miteinander zusammen hängt. Jenseitserfahrungen als mitteilbare Bewusstseinsinhalte erscheinen mir einstweilen utopisch; jedenfalls ist ungeklärt, wie die Seele ohne Masse auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden oder sonst wie ins Licht eintreten kann. Der umgekehrte Weg, Botschaften aus dem Jenseits in sinnliche Wahrnehmungen zu transformieren, erweist sich gleichermaßen unbekannt. Bleibt da mehr als nur die Hoffnung auf ein Jenseits voller Liebe und Weisheit? Alle Mal erscheint es faszinierend und spannend, sich dem sprachlich ansprechenden sowie mit Gedanken-Experimenten zur Sinnestäuschung, Grafiken und Bildern illustrierten Buch hinzugeben.  

Mit dem Autor kann man unter markolf.niemz@herder.de zur Diskussion in Kontakt treten.


Uwe Karstädt: Diabetes 2 für immer besiegen - ein Ratgeber
Rottenbug 2016 (Kopp Verlag)
Rezension vom 17.05.2017

Nach Rainer Limpinsels Aufmerksamkeit erheischendem Werk „Diabetes heilen in nur 28 Tagen“ nun dies ebenfalls Heil versprechende Buch „Diabetes 2 für immer besiegen“ von Uwe Karstädt, dem namhaften Heilpraktiker und Medizin-Bestseller-Autor, der bislang als großer Aufklärer über die Krankheiten unserer Zeit, ihre Ursachen und Heilungschancen bekannt ist und in diesem Zusammenhang auch die fragwürdigen Praktiken der Pharma- und Lebensmittelindustrie sowie eine gewisse Mittäterschaft vieler Ärzte anprangert. Das tut er gleichfalls in der vorliegenden Veröffentlichung, indem er über den Diabetes als sich rasend zur Volksseuche ausbreitende Stoffwechselstörung berichtet und darüber einschlägig informiert, wie es dazu im Rahmen unserer modernen Lebensumstände kommt und was wir dagegen wirksam unternehmen können und sollen.

So erhalten wir wichtige Kenntnisse und Erkenntnisse über krankmachende und gesunde Ernährung sowie praktische Hinweise zur Mangelbeseitigung und Strategien zum artgerechten Leben. Beispielsweise geht es um die Schlüsselrolle des Insulins und die richtige Vitamin- und Mineralien-Versorgung für einen guten, florierenden, vitalen Stoffwechsel sowie das gefährdende Pendant von Gefäßerkrankungen, Entzündungen durch Bauchfett, Leber-Galle-Stau, Sickerdarm-Probleme, Autoimmunkrankheiten, Krebsförderung und anderen Schädigungen in Verbindung mit Diabetes. Die lebensnahe, pragmatische Aufklärung zur Überwindung von Übergewicht, Infarkt, Schlaganfall, Osteoporose oder Depression kann sich als wertvoll und Gesundheits fördernd für fast jeden erweisen, macht das Werk für ein breites Publikum lesenswert, wie das schon im Wesentlichen für Karstädts Bestseller  „Die 7 Revolutionen der Medizin“, „Das Dreieck des Lebens“, „Entgiften statt vergiften“ oder „Die Säure des Lebens“ gilt.   

Was allerdings mit Vorsicht zu nehmen ist und worüber man sich keine Illusion machen sollte, weshalb man aber vor allem dieses Buch wird kaufen wollen, dürfte die Suggestion und Heilsbotschaft sein, die der Buchtitel ausstrahlt und die im Klappentext noch verstärkt werden: der „mühelos und dauerhaft möglich gewordene Sieg über Diabetes 2“ sowie der „einfache Ausstieg aus der Medikamentenabhängigkeit“. Deshalb dürften sich die Interessierten erwartungsvoll auf das Kapitel 20 „Diabetes ist auch ohne Arzneien heilbar“ stürzen und werden enttäuscht sein, wie wenig es hier leider zur Sache geht und womit sie allein gelassen werden.

Karstädt vertritt die These, dass „radikales Fasten und die konsequente Reduktion von Kohlenhydraten“ in Kombination mit den richtigen Nahrungsergänzungen die Verfettung der Leber und Bauchspeicheldrüse verringern oder vollständig zurücknehmen, wodurch sich Diabetes 2 bekämpfen lasse. Als scheinbaren Beweis führt er eine 2011 veröffentlichte Studie von Prof. Taylor aus Newcastle mit einer „Low-Carb-Diät“ an, wonach 11 von 14 Diabetikern (ohne diese näher zu differenzieren) nach 8 Wochen bei täglich 510 Kilokalorien Nahrungsaufnahme durchschnittlich 15 kg abnahmen und sich ihre Nüchtern- und Langzeit-Blutzuckerwerte sowie die Insulinempfindlichkeit und -wirksamkeit der Beta-Zellen normalisiert hatten, während in Kernspin-Untersuchungen eine entsprechende Entfettung von Pankreas und Leber aufgezeigt wurden. Wie Karstädt selbst sagt, sind diese Erkenntnisse nicht neu; er berichtet von erfolgreichen Haferdiätkuren Anfang des 19. Jh. und ich selbst habe in den 1980er Jahren im Anfangsstadium meines Diabetes mit einer „Schnitzer-Diätkur“ ähnliche Erfahrungen gesammelt.

Das funktioniert offensichtlich, soweit der Diabetes durch Fehlernährung und Bewegungsmangel verursacht sowie durch eine Nahrungsanpassung einstellbar und nicht verfestigt oder gar durch Vererbung bedingt ist. Aber solch eine „Rosskur“, wie sie Karstädt nennt, hält keiner auf Dauer aus. Limpinsel gibt immerhin zu – und widerlegt damit sein kurzfristiges Diabetes-Heilungsversprechen, dass man die rigorose Lebensumstellung ständig beibehalten muss. Karstädt empfiehlt Diäten mit Eiweißdrinks und die Eiweißmahlzeiten mit frischen Rohkostzutaten (Green Smoothies) zu ergänzen. Vor allem legt er die Nahrungsergänzung mit Kohlenhydrat- und Appetitblockern, besonders einem neuen pflanzlichen Präparat namens „Diabetasol“ (LL-Produkte Salzburg) nahe. Da er dazu (noch) keine Erfolgsmeldungen seiner Patienten abgibt, müssten experimentierfreudige Diabetiker/-innen dieses Mittel vorsichtig erproben und auf eigene Kosten heraus finden, ob oder wieweit sich damit die herkömmlichen Diabetesmedikamente je nach ihrer individuellen Lage tatsächlich ersetzen lassen.


Holm Tetens: Gott denken
Ein Versuch über rationale Theologie

Stuttgart 2015 (Reclam UB 19295)
Rezension vom 17.10.2016

Holm Tetens
, Philosophie-Professor an der Freien Universität Berlin, unternimmt entgegen dem Trend moderner Philosophie zur naturalistischen Metaphysik den Versuch, Gott rational zu denken, indem er einen kritischen Vergleich von Naturalismus und Theismus bzw. theistischer Ideologie auf der logisch-begrifflichen Argumenationsebene durchführt, um dem verbreiteten materialistischen Denken in heutiger Zeit sozusagen auf Augenhöhe zu begegnen.

Die Kernthese des Naturalismus lautet: Die materielle Welt der konkreten Dinge und Ereignisse stellt die einzige und eigentliche Wirklichkeit dar, wie sie von den Erfahrungs- und besonders Naturwissenschaften treffend beschrieben wird. Danach sind auch wir Menschen nichts Anderes als ein Stück kompliziert organisierter Materie, existieren nur als körperhafte Wesen und funktionieren nach Naturgesetzen. Nach der Emergenz-Theorie, dass aus dem bislang Vorhandenen durchaus unerwartet und unvorhergesehen etwas qualitativ Neuartiges entstehen kann, wird vorausgesetzt, das Mentale emergiere aus dem Physischen, also unser Bewusstsein entspringe der höher entwickelten Materie. Wie dies geschieht, kann zwar wissenschaftlich empirisch heute noch nicht nachgewiesen werden, weil bisher nur eine winzige Probe des Universums in einer zu kurzen Zeitspanne seiner Existenz zur Verfügung steht, aber die ungeheuere Leistungsfähigkeit der kollektiven menschlichen Inelligenz wird das wie jede existenzielle Frage, auch auf welche Weise der Prozess der Kosmogenese ohne Gott als allmächtigen Akteur in Gang gesetzt werden konnte und einst beendet wird, im Laufe der Zeit schlüssig erklären können. Mit dem leiblichen Tod löst sich unser Geist als angenommenes Körpersubstrat einschließlich Selbstwertgefühl total auf; die Seele erweise sich nur als Metapher in einer gottlosen Welt, in der wir neben anderen, unerkannten Welten zufällig leben (vgl. Atkins 2013). Die Erwartung des endgültigen Aus der menschlichen und universalen Existenz ruft fundamentale Angst, Frustration, Resignation, Panik hervor. Die daraus resultierende Aussichtslosigkeit, tief empfundene Ungerechtigkeit und Sinnlosigkeit provozieren rücksichtslosen Egoismus und die Hinwendung zum Bösen; Ausdruck dafür ist die Philosophie des Absurden von Jean Paul Sartre.

Demgegenüber lautet die von Tetens vertretene Kernthese des Theismus: Gott existiert als allmächtiger Schöpfer der Welt in der Qualität eines unendlichen vernünftigen Ich-Subjekts und schafft uns Menschen als endliche geistige Ich-Subjekte. Er will unbedingt unser Heil, indes ist der Fortschritt der Welt mit dem Menschen als Gestalter prinzipiell offen und Gott muss das Böse, Leid und Tod zulassen, damit sich das Gute durchsetzen kann und schließlich durch  Auferstehung der Toten, höchstes Gericht, Vergebung und Versöhnung der Menschen  in einer neuen, besseren Welt Gnade und Gerechtigkeit walten können. Teilhard de Chardin setzt für diese letzte Entwicklungsphase des Kosmos und der Menschheitsgeschichte den Begriff der Christogenese oder „Einmütigung“, nämlich der gottgewollten Einswerdung, christlichen Verbrüderung aller Menschen. Indes können wir in unserer Begrenzheit Gott in seiner Transzendenz nicht direkt erkennen und als Wirklichkeit beweisen, jedoch können wir ihn als ernst zu nehmende Möglichkeit rational denken und mit seiner überragenden Rolle als allmächtiger Schöpfer der Welt und seiner Bedeutung für unser Leben argumentieren. Wir können seine Macht und Fähigkeiten definieren und er kann durch uns in der Erfahrungswelt indirekt gegenwärtig sein. So können wir auf ihn hoffen, ihn in unserer Not anrufen, loben, fürchten, eine Beziehung zu ihm aufbauen, unterhalten, abbrechen, was unsere Haltung und unser Handeln im Leben maßgeblich beeinflussen kann. Der Gottgläubige vertraut auf den gerechten, barmherzigen Gott, der grundsätzlich unser Heil will, er akzeptiert ihn als Richter und Erlöser, selbst wenn er ihn nicht versteht und zum Verzweifeln neigt. Allerdings lässt sich dieser tiefe Gottesglaube nicht durch den Verstand erzwingen, er muss als Gnade oder Geschenk Gottes – wodurch auch immer – jeweils selbst erfahren und verinnerlicht werden. Wem und wievielen dies jemals zuteil wird, bleibt freilich offen.

Beide Denkansätze offenbaren Probleme und Chancen. Hinsichtlich der naturalistischen Kernthese erweist sich als unbefriedigend und höchst unwahrscheinlich, dass die empirischen Wissenschaften irgendwann den Ursprung der Welt aus dem absoluten Nichts schlüssig nachweisen können, da aus einer Voraussetzung logisch nur folgen kann, was sie impliziert. Damit wird gleichfalls die Emergenz des Mentalen aus dem Physischen ad absurdum geführt. So konnte nach Richard David Precht die Hirnforschung bisher nicht ermitteln, wie sich die Hirnströme in Denken verwandeln. Außerdem ist nicht erklärbar, warum es in einer rein materiellen Welt erlebnisfähige und selbstreflexive Ich-Subjekte gibt. Demgegenüber erweist sich die Kernthese des Theismus als argumentative Stärke, insofern die Zielvoraussetzung Gottes als Schöpfer der Welt und der Menschen als geistige Ich-Subjekte theoretisch gewährleistet, dass sich die Kosmogenese in einem unendlichen Prozess und in der Gerichtetheit auf den höchsten (göttlichen) Wert widerspruchsfrei entwickeln kann. Die Überzeugung, dass ein vernünftiger, gerechter, gütiger Gott unser Schicksal letztlich zum Guten wenden wird, schafft Zuversicht für ein sinnvolles Leben, spornt zu christlicher Daseinsbewältigung an und hilft auch, die Unzulänglichkeiten und das Leid in Gegenwart und Diesseits, die allzu oft als Gottesgegenbeweise empfunden werden, eher zu ertragen.

Doch sei Tetens bevorzugter Position entgegen gehalten: Ebenfalls die Anhänger des Naturalismus und die Atheisten müssen nicht verzagen und das Leben in der vorfindlich unvollkommenen Welt verdammen. Da kein Mensch als selbstreflexives Wesen absoluter Nihilist ist, resultiert aus der Konzentration auf das Diesseits ohne göttliche Geborgenheit durchaus die Übernahme hoher Eigenverantwortung, weil es darauf ankommt, aus seinem begrenzten Dasein in dieser Realität selbst das Beste zu machen. Sei es, dass wir durch Fortpflanzung und Vererbung, Familiengründung, Aufzucht von Nachkommen Spuren unseres Menschseins über den leibhaftigen Tod hinaus setzen. Oder sei es, dass wir durch soziale Taten, geistige Werke, geniale Erfindungen Erfüllung finden und Manche gar Großes leisten und fast unsterblichen Ruhm erlangen. Gottgläubigkeit erweist sich nicht als notwendige oder ausschließliche Bedingung zur Verwirklichung der Menschenrechte sowie der Weltverbesserung für ein brüderliches und friedliches Zusammenleben aller Menschen in Einklang mit der Natur, also als optimale Annäherung an die Zielsetzung, die wir als Christogenese postuliert haben. Und die Glaubens hemmende Wiederauferstehungsthese kann gekontert werden, nämlich mit Immanuel Kants nüchterner Feststellung, dass wir berechtigt sind, an die Unsterblichkeit der Seele zu glauben.

Beide metaphysischen Kernthesen sind durch die Argumentation weder bewiesen noch widerlegt, sondern nur als theoretische Möglichkeit begründet, naturalistische und theistische Weltdeutung logisch-begrifflich mit einander zu vergleichen und abzuwägen. Sowohl das naturalistische als auch das theistische Szenario können sich durch die reale Entwicklung der Welt als falsch oder richtig erweisen. Von beiden Positionen aus kann man indes die Fragen nach dem Sinn unseres Daseins stellen und die Erfahrungen und Erkenntnisse interpretieren. Und man kann im Einzelnen unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen. Wichtig wäre, dass möglichst viele – gleich  welcher Gesinnung – das Buch lesen und sich dem als wertvoll erkannten, humanen, welterhaltenden Ziel stellen.

Weiter führende Literatur:
Peter Atkins: Über das Sein. Ein Naturwissenschaftler erforscht die großen Fragen der Existenz, Stuttgart 2013 (Reclam 20273);
Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele? München 2007 (Goldmann 15528);
Dietrich Pukas: Die Logik in der Welt – Ansätze zur Weiterentwicklung des Neukantianismus, Frankfurt/M. 1978 (Haag+Herchen);
Markhoff H. Niemz: Bin ich, wenn ich nicht mehr bin? Ein Physiker entschlüsselt die Ewigkeit; 2. Aufl. Freiburg i. B. 2011 (Kreuz);
Mathias Schreiber: Was von uns bleibt - Über die Unsterblichkeit der Seele, München 2008 (DVA/Spiegel-Verlag Hamburg);
Blaise Pascal: Das Ich besteht in meinem Denken, Ditzingen 2017 (Reclam UB 19430);


Uwe Karstädt: Die Säure des Lebens
 
TAS-Verlag London 2016 (Taschenbuch-Ausgabe)
Rezension von Dietrich Pukas (04.07.2016)

Der vielgelesene Medizin-Autor Uwe Karstädt hat seinen Bestsellern „Die 7 Revolutionen der Medizin“, „Das Dreieck des Lebens“, „Entgiften statt vergiften“ mit „Die Säure des Lebens“ ein weiteres Aufklärungsbuch hinzugefügt, das ein akutes medizinisches Problem der Gegenwart in den Mittelpunkt stellt, mit diesbezüglichen Fehlern der Schulmedizin aufräumt und in diesem Zusammenhang die Machenschaften der Pharma- und Lebensmittelindustrie anprangert – zum Wohle der betroffenen und vielfach irregeleiteten Patienten. Und zwar geht es diesmal um die weit verbreitete Problematik des Sodbrennens, unter der viele Zeitgenossen leiden, jedoch nach medizinischen Standards massenhaft falsch behandelt werden mit bedenklichen Folgen für ihre Gesundheit.

Karstädt, der als Heilpraktiker über ein enormes überliefertes und unkonventionelles medizinisches Wissen einschließlich der Bezugsdisziplinen verfügt, hat in den einschlägigen weltweiten Studien zur Funktion und Störung des Verdauungsapparates ermittelt, dass der Mensch im Alter weniger wie allgemein angenommen unter zuviel Magensäure leidet, sondern im Gegenteil zu wenig Magensäure produziert, nämlich nur etwa 1/4 der Menge eines jungen Menschen, wie es auch für andere Magelerscheinungen des alternden Körpers typisch ist. Neben dem Alterungsprozess mindern auch Stress, Überforderung, Reizüberflutung, mangelnde Ruhephasen und sportliche Bewegung, Burn-out die Magensäure. Aber Karstädt gibt sich nicht mit der Theorie zufrieden, sondern überprüft sie in der Heilpraxis und hat den Magensäure-Mangel bei zahlreichen seiner Patienten tatsächlich festgestellt und mit geeigneten Maßnahmen erfolgreich behandelt, indem er z. B. die natürliche Magensäure-Herstellung durch Ernährung mit Bitterstoffen und fermentierten Nahrungsmitteln ankurbelt und in schweren Fällen Magensäure auffrischt bzw. substituiert durch ein spezielles Präparat namens Vektor-HCL.

Damit befindet er sich im krassen Gegensatz zu den üblichen Behandlungsmethoden der schulmedizinisch orientierten Ärzteschaft, die nicht die Ursachen von Sodbrennen und Reflux bekämpft, sondern das saure Aufstoßen nur als Folge behandelt und Antizida und Protonenpumpenhemmer verordnet, um die Bildung von Magensäure zu verhindern, was momentan Beschwerden lindert, aber auf längere Sicht die Lage auch verschlimmern kann.

Denn die Magensäure erweist sich nicht als Feind des Menschen, sondern als Säure des Lebens: Sie desinfiziert die Nahrung und befreit von Krankheitserregern (z. B. Helicobakter pylori), vernichtet ein schädliches Zuviel an Milchsäure, Buttersäure und Harnsäure und anderen Abfallprodukten (Übersäuerung des Gewebes). Sie sorgt zusammen mit Speichel, Bauchspeichel und Galle für die bessere Aufnahme von Nährstoffen wie Mineralien, Vitamine, Eiweiß (Aminosäuren) und Öle (Fettsäuren) und verhindert beispielsweise Eisen- und Kalziummangel. Besonders die Eiweißverdauung und Vitamin B 12 brauchen genug Magensäure für Zellaufbau und Gewebereparatur, Bildung von Antikörpern gegen Bakterien und Viren (Stärkung des Immunsystems), Produktion von Hormonen und Enzymen, Sauerstofftransport im gesamten Körper, Aufbau und Erhaltung von Muskeln, Sehnen, Bändern, Haut, Organen (Herz, Hirn), Drüsen, Nägeln, Haar, Bindegewebe (Kollagen) u. a.

Zu wenig Magensäure bewirkt Sodbrennen, insofern der Magen zum Ausgleich der verminderten Säure eine verstärkte Durchmischung der zerkauten Nahrung mit den Magensäften vornimmt und den Verdauungsvorgang in Gang setzt und infolge der Dynamik sauren Mageninhalt in die empflindliche Speiseröhre drückt, zumal der Nahrungsbrei statt 2 bis 3 schon mal 6 bis 9 Stunden im Magen verbleiben kann, dadurch Gär- und Fäulnisgase bildet und es durch den erhöhten Druck zum sauren Aufstoßen kommt. Zudem ist zu vermuten, dass der Sphinkter, das Ventil zwischen Speiseröhre und Magen, nicht ganz schließt, weil der vom Magen ausgehende Säurereiz dazu zu gering ist. Allerdings muss hier unbedingt durch eine Magenspiegelung des Facharztes ermittelt werden, ob hier etwa eine verbreitete krankhafte Fehlstellung des Sphinkters mit bereits eingetretener Speiseröhrenentzündung vorliegt. Diese Refluxösophagitis muss i. d. R. zunächst durchaus mit Säureblockern behandelt werden, bis nach ihrem Abklingen andere Maßnahmen ergriffen werden.

Andererseits kann die herkömmliche Reduzierung der Magensäure durch Medikamente der falsche Weg sein und auf Dauer fatale Folgen haben, zu einer chronischen Erkrankung des Patienten führen, beispielsweise zum Sickerdarm oder dem Leaky-Gut-Syndrom, Allergien oder anderen Volkskrankheiten, über die Karstädt aufklärt, nicht zuletzt mit Bezug auf fragwürdige ärztliche Behandlungsmethoden sowie der Gesundheit abträgliche Einflüsse der Pharma- und Lebensmittelindustrie. Als persönliche Konsequenz kann angeraten werden, dass man neben der vorrangigen Überprüfung des Sphinkters durch eine Magenspiegelung seine Magensäure messen lässt (gesund ist ein pH-Wert von etwa 0,8 – 2), bevor man sich die üblichen Säureblocker verordnen lässt. Außerdem könnte man eine Nahrungsumstellung und -ergänzung mit Bitterstoffen, fermentierten Produkten, Vector-HCL nach den Vorschlägen von Karstädt sowie seinen Tips zur günstigen Nahrungsaufnahme und Verdauung erwägen. Auf jeden Fall möchte ich das aufschlussreiche und im Übrigen preiswerte Buch allen gesundheitsbewussten Bürgern/-innen zur Lektküre und Grundlage der Vorsorge wärmstens empfehlen.


Mhairi McFarlane: Es muss wohl an dir liegen

Aus dem Englischen von Katharina Volk

Knaur Taschenbuch München 2016

Rezension von Dietrich Pukas (24.04.2016) 


Nach ihrem imposanten Bestseller „Vielleicht mag ich dich morgen“ erwartet man mit Spannung, welches fesselnde Schauspiel uns Mhairi McFarlane mit ihrem neuesten Roman „Es muss wohl an dir liegen“ bietet. Es ist ihr ein betörendes „Feuerwerk der Liebe und Intrigen“ gelungen, das wiederum ungeheueren Lesespaß für Alt und Jung, Reich und Arm, Frau und Mann, Abenteurer und Romantikerin bereitet.

Mit der ihr eigenen Anschaulichkeit und Treffsicherheit entfaltet die Autorin die Charaktere der Darsteller, wobei das Figurenspektrum mehr denn je bunt und kontrastreich ausfällt und sich das Personenkarussell schneller dreht als sonst. Da ist die attraktive Protagonistin Delia Moss, PR-Angestellte bei der Stadtverwaltung von Newcastle. Mit ihren tizianroten Haaren und üppigen Kurven lässt sie die Männerherzen und nicht nur das etwas höher schlagen als normal. Sie hat ihr Lebensglück bereits in Gestalt von Paul, einem gut aussehenden, lustigen Barkeeper und Kneipenbesitzer, gefunden und will ihn nach 10 Jahren des Zusammenlebens endlich ehelichen. Aber nicht nur dieser Plan endet in einer Katastrophe, beruflich stolpert sie über den charmanten Joe, einen getarnten genialen Computer- und Internetspezialisten, der die Oberen der Stadtverwaltung gewitzt blamiert und anonym herausfordert. Statt ihn auftragsgemäß zur Strecke zu bringen, empfindet Delia Sympathie für ihn und freundet sich mit ihm an, was sie ihren Job kostet. Sie zieht zu ihrer besten Freundin Emma, eine gewiefte, erfolgreiche Anwältin, nach London, nimmt ihre Comics-Zeichnerei aus Studienzeiten wieder auf, während sie sich zunächst vergeblich um neue Arbeit bemüht, bis sie auf den geilen, skrupellosen Kurt trifft. Dieser betreibt eine aufregende, unkonventonelle PR-Agentur und stellt Delia Knall auf Fall ein – wegen ihrer kreativen Fähigkeiten und ihrer erotischen Ausstrahlung. Im Zuge ihrer neuen Tätigkeit gerät Delia an den smarten Schönling Adam, einen Enthüllungsreporter und den härtesten Konkurrenten ihres Arbeitgebers, der die Naivität Delias in Bezug auf Kurts Machenschaften für seine Zwecke ausnutzt und sie sich als angeblicher Kämpfer für Aufklärung und das Gute gefügig macht. Wie und bei wem soll die 33-jährige Delia da ihr Glück finden, um die ersehnte Familie zu gründen?

Die moderne Berufs- und Arbeitswelt mit ihrer Hektik, Stresssituationen, animierenden Abwechslung und vor allem Tücken bildet wiederum den spannungsreichen Handlungsrahmen für das kunstvoll eingebettete Privatleben der Hauptpersonen und beeinflusst die Ausprägung und Entwicklung ihrer emotionalen Befindlichkeiten, Leidenschaften, Hass- und Liebesgefühle. Indem Mhairi McFarlane der Bedeutung ihrer zentralen Figuren trotz ihrer charakteristischen Verschiedenartigkeit im turbulenten Geschehen eine gewisse Ebenbürtigkeit zukommen lässt, erzeugt sie Offenheit und abwechselnde Überraschungen bis zum Ausgang der Geschichte und hält die Leser-/innen bei Laune bis zum Schluss.

Livestream-Lesung mit Mhairi McFarlane zu dem Buch bei Lovely Books am 25.04.2016 zum Nachlesen: http://www.lovelybooks.de/lesung/Mhairi-McFarlane/


DER KLEINE PRINZ – Das Musical von Deborah Sasson und Jochen Sautter
nach dem Welterfolg von Antoine de Saint-Exupery –
Aufführung im Theater am Aegi in Hannover am 20.12.2015
(Rezension vom 16.01.2016)

Den „Kleinen Prinzen“ haben wir einst im Französisch-Unterricht gelesen und „Saint-Ex“ war mein Lieblingsautor für das Abitur, weil er mich bereits in den 1950er Jahren als Poet faszinierte und in meiner damaligen Begeisterung für Technik und Weltraumfahrt auch als Pilot interessierte. Inzwischen ist die Geschichte vom kleinen Prinzen – in über 100 Sprachen übersetzt – eines der am meisten gelesenen Bücher der Welt, das Millionen von Erwachsenen und Kindern über Menschen-Generationen hinweg leidenschaftlich in den Bann gezogen hat und immer wieder neu mit Enthusiasmus erfüllt. Und ich besitze statt der einfachen Reclam-Ausgabe ein gebundenes Geschenkbuch mit den Originalzeichnungen von Saint-Ex zum Text. Jedenfalls war es naheliegend, das berühmte Werk zu verfilmen, und nun haben es Deborah Sasson und Jochen Sauter nach ihrer Neuinszenierung des „Pantoms der Oper“ gar als Musical umgesetzt. So freute ich  mich voller Erwartung darauf, mir die Aufführung schon vor Weihnachten in Hannover anschauen zu können.

In der märchenhaften Geschichte ist der kleine Prinz ein Botschafter von einem fremden Stern, der auf dem winzigen Asteroiden B 612 wohnt, wo Vulkane zum Aufwärmen des Frühstücks dienen und seine Rose mit den vier Dornen blüht. Den kleinen Prinzen treibt die Suche nach einem Freund in der Welt umher, die Aufhebung der Einsamkeit in der Freundschaft ist sein Ziel. Bevor er dem mitten in der Wüste notgelandeten, einsamen Piloten begegnet, hat er bereits sechs Nachbarplaneten besucht und auch schon merkwürdige Erfahrungen mit den Lebewesen auf der Erde gemacht: mit der Schlange, der Rose, dem Fuchs, insbesondere den Menschen wie dem Geografen, Geschäftsmann, Pillenhändler, Säufer, Eitlen, Laternenanzünder, König. Er tauscht seine Erlebnisse mit dem tiefsinnigen Piloten aus, der eigentlich Maler werden wollte, sodass sie vertraut miteinander werden, sich viele Dinge wandeln und in kleinen Parabeln manche Lebensweisheit zutage tritt: „Man sieht nur mit dem Hernzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

Doch kann diese Botschaft des Dichters in die manchmal versteinerten Herzen der Menschen eindringen und uns zur Besinnung bringen? Der kleine Prinz wirkt nur scheinbar wie ein Kind, denn seine Fragen treffen die Erwachsenen tief ins Mark und entlarven die ausweichenden bis peinlichen Antworten der Realitätsmenschen mit ihrer pragmatischen Sichtweise unserer Welt als wenig überzeugend und scheinheilig. Die Idee des Musicals ist: Über die Worte hinaus soll die Musik die Welt unserer inneren Gefühle bewegen und erschließen.

Dazu haben Deborah Sasson und Jochen Sautter 25 eindrucksvolle Musikstücke für die handelnden Figuren komponiert und mit ihrem Kreativteam durch situationsgerechte Choreografie, Bühnenarrangements mit abwechslungsreicher Musik, Orchestration, Sologesängen, Tanzeinlagen bis hin zum Akrobatischen, interaktiver Videoanimation, Lichtdesign, halbtransparenten Vorhangprojektionen und Beamereffekten, nachgestalteten Wandzeichnungen Saint-Exuperys, aber relativ sparsamer Kulissenausstattung das Musical in Szene gesetzt. Meine Erwartung einer romantisch verträumten Inszenierung zum Nachdenken über die tiefgründige, philosophische Thematik wurde indes durch zu viel Aktion enttäuscht, auch wenn es einige ruhige instrumentale Phasen zum Verweilen gab. Aber meine Voreingenommenheit durch die Besinnung auf die literarische Vorlage galt für das überwiegend erwachsene Publikum offenbar nicht, wie der anhaltende, starke Schlussapplaus offenbarte. Allerdings bleibt offen, ob die Zuschauer Saint-Exuperys Text überhaupt kennen oder ob sie durch die Musical-Aufführung animiert werden, ihn zu lesen und die empfangenen Eindrücke zu vertiefen.


Julian Nida-Rümelin: Der Akademisierungswahn – Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung (Hamburg 2014, edition Körber-Stiftung; Bonn 2014, Bundeszentrale für politische Bildung Lizenzausgabe)
Rezension von Dietrich Pukas (Okt. 2015)

Der etwas reißerische Titel „Der Akademisierungswahn“ hält, was er im Untertitel verspricht, nämlich Aufklärung über die sich gegenwärtig anbahnende Krise beruflicher und akademischer Bildung in Deutschland, die viele Bürger betrifft und die es abzuwenden gilt. Mit seinem Essay eines Philosophen und besorgten Bürgers legt JULIAN NIDA-RÜMELIN (JNR) ein aufschlussreiches Buch vor, mit dem er nachdenklich machen und aufrütteln will, bevor es zu spät ist, die verhängnisvolle Entwicklung umzulenken. Denn es zeichnet sich einerseits ein Facharbeitermangel ab, während uns andererseits eine Akademikerschwemme droht, wenn es so weiter geht wie bisher. Beides gefährdet unsere Zukunft, unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und unseren Wohlstand, sodass die nächste Bildungskatastrofe schlimmner ausfallen dürfte als die vorangegangenen. 

Wie ist es zu dieser Problematik gekommen? JNR weist nach, dass wir zu sehr den Empfehlungen der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD)“ gefolgt sind, die fälschlicherweise im Hinblick auf die USA argumentiert, die Abiturientenquote in Deutschland sei zu niedrig und müsste stark erhöht werden. Gleichzeitig wird die Fehlinformation verbreitet und suggeriert, das Abitur sei wertvoller und sichere ein besseres Leben als eine Lehre oder Berufsausbildung im dualen System (Betrieb und Berufsschule). Das hat zu einer fragwürdigen Umkehrung des Bildungsverhaltens geführt: Begann vorher die Mehrheit der Schulabgänger eines Jahrgangs eine Berufsausbildung, so wählen derzeit mehr Jugendliche den Weg über das Gymnasium und Abitur zum Studium als die Lehre in den Ausbildungsberufen. Diese Lage wächst sich nun durch die demografische Situation zur Krise aus: Es gibt insgesamt immer weniger Schulabsolventen, was im Endeffekt für die Betriebe, die Ausbildungsplätze anbieten, zur Folge hat, dass sie – je nach Region und Berufssparte – nicht mehr genügend geeignete Bewerber finden. Es entsteht bereits ein gravierender Facharbeitermangel, der unsere Wirtschaft beeinträchtigt, obwohl unser duales Ausbildungssystem wegen der geringen Jugendarbeitslosigkeit als „Exportschlager“ gilt und gerade von anderen Ländern übernommen wird.  

Als Ausweg werden bei uns immer mehr duale Berufsausbildungen in die Bachelor- und Masterstudiengänge an die Fachhochschulen und Universitäten verlegt, was allerdings schwer wiegende Auswirkungen hat. Die Hochschulen sind zu wenig darauf vorbereitet und nur zum Teil geeignet, die praxisorientierten Ausbildungen zu gewährleisten. Es ergibt sich eine Abkehr vom Handwerklichen, Praktischen, Technischen, Gestaltenden, wodurch in Deutschland ein beachtliches Niveau des verarbeitenden Gewerbes erreicht wurde und was durch die vielen Hochschulabsolventen weniger gegeben ist. Als Folge zeichnet sich ein Qualitätsverlust bei der Facharbeit ab, während zunehmend Arbeitslosigkeit der Akademiker entsteht. Die notwendige Verwissenschaftlichung beruflicher Bildung sollte vorrangig in Praxiserfahrung integriert im dualen Ausbildungssystem stattfinden, und zwar aufgrund von Innovationen in der Betriebspraxis, des technischen Fortschritts in der Arbeits- und Wirtschaftswelt, der Weiterbildung von Ausbildern und Berufsschullehrern.

Für die Krise akademischer Bildung ist nach JNR die misslungene Studienreform nach dem sogenannten Bologna-Prozess verantwortlich, d. h. die Aufteilung der Studiengänge in ein verschultes, komprimiertes Bachelorstudium von i. d. R. 6 Semestern und in ein wissenschaftliches Masterstudium von überwiegend 4 Semestern. Durch die Zerlegung des BA-Studiums in Module und ein Noten- bzw. Punkte-Vergabe-System für kleine Einheiten werden bewährte Berufsprofile zersplittert, während die verkürzte Wissenschaftsorientierung im MA-Studium die Qualität mindert, die einst die renommierten deutschen Diplom-, Magister- oder Staatsexamens-Abschlüsse garantierten und die weltweit anerkannt waren. Damit gehen gesteigerte Studienabbrecherquoten einher, nicht alle Hochschulabsolventen finden eine dem Studium angemessene Beschäftigung; vor allem steigen nicht wie einst geplant 80 %, sondern nur 20 % der Studierenden mit dem Bachelor in die Berufs- und Arbeitswelt ein und in Umkehrung der Verhältnisse streben 80 % einen Masterabschluss an.

JNR fordert dringende Konsequenzen für diese kontraproduktive Entwicklung und rekurriert auf die Grundidee der humanistischen Reformuniversität, die die Vielfalt der Wissenschaftskulturen bewahrt und als moderne europäische Universität die Einheit von Forschung und Lehre herstellt. Sie setzt auf das Bildungsideal, rationales Erkenntnisinteresse mit umfassender Persönlichkeitsbildung zu verbinden. Mit der Förderung wissenschaftlicher Expertise sind Urteilskraft und Entscheidungsfähigkeit zu vermitteln, die auch außerhalb akademischer Berufe eine erfolgreiche Praxis ermöglichen. Die Verankerung des wissenschaftlichen „Prinzips selbstständigen Planens, Ausführens und Kontrollierens“ in den dualen Ausbildungsberufen ist hierfür ein Beispiel. In erster Linie muss der „Bologna-Irrtum“ korrigiert werden, zwischen „berufsfeld- gegenüber wissenschaftsorientierten Studiengängen“ zu unterscheiden. Sowohl Universitäten als auch Fachhochschulen müssen ausgebaut werden, um die Studierenden besser auf überwiegend anwendungsbezogene und andererseits auf mehr forschungsorientierte Studiengänge zu verteilen und die hohen Abbrecherquoten zu senken. Gleichfalls verlangt JNR Maßnahmen für die duale Berufsausbildung: Eine Ausbildungsplatzumlage für nicht ausbildende Betriebe soll zum Lastenausgleich für diejenigen beitragen, die in die berufliche Bildung investieren. Außerdem sollen die Berufsschulen gestärkt und der Theorieteil der dualen Ausbildung soll aufgewertet werden. Für den Fall des weiteren Ausbildungsrückzuges von Betrieben sollten berufliche Vollzeitschulen, insbesondere Berufsfachschulen die Ausbildung übernehmen, zumal sie z. T. schulische Abschlüsse bis zur Hochschulreife bieten.

Von meinen Erfahrungen als Berufspädagoge her möchte ich besonders zwei pragmatische Empfehlungen geben: Die Hochschulen und ihre Repräsentanten sollten im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten die gesamte Bandbreite zur Gestaltung grundständiger und konsekutiver Bachelor-Master-Studiengänge nutzen und sinnvolle, verwertbare Qualifikationsbündel sowie Fähigkeitsspektren für die akademischen Berufe schaffen, wie dies für die Ausbildungsberufe im dualen System gilt. Auf der anderen Seite könnten die Absolventen der Zubringerschulen verstärkt für eine duale Berufsausbildung gewonnen werden, wenn sie darüber informiert und dafür motiviert werden, dass sie auf der Grundlage und unter Anrechnung ihrer Ausbildung durch den Besuch weiterführender beruflicher Vollzeit- und Teilzeitschulen, vorzugsweise der zweijährigen Berufsoberschule, die Hochschulzugangsberechtigung erlangen und sich die akademische Berufswelt erschließen können, für die sie dann zukunftssicher qualifiziert wären. Als Leserkreis für das wichtige Buch, dem eine große Verbreitung zu wünschen ist, kommen alle Akteure beruflicher und hochschulischer Bildung in Frage: Bildungspolitiker, Lehrer der allgemeinen und beruflichen Schulen, Hochschullehrer, Studierende, Ausbilder, Auszubildende, darüber hinaus Eltern und Schüler sowie alle interessierten Bürger.

(vgl. Dietrich Pukas: Zur Umsetzungsproblematik der Studienreform nach dem Bologna-Prozess in Deutschland. In: Die Berufsbildende Schule 63 (2011) 11/12, S. 333-338. Unter: http://www.blbs.de/presse/zeitung/archiv_2011/blbs_1111.pdf; Interview mit Prof. Nida-Rümelin unter: https://www.youtube.com/watch?v=dLE4hqbgMD)


Sarah Saxx/Annika Bühnemann/Frieda Lamberti:
Hoffnung – Vertrauen – Vergebung
Drei Geschichten über die Liebe (2. Aufl. Fulda 2014)
Rezension von Dietrich Pukas (02.05.2015)             
 
Schöne Idee: Eine Trilogie von Kurzromanen zu präsentieren, um die Facetten der Liebe unter den Aspekten von Hoffnung, Vertrauen, Vergebung auf faszinierende Weise zu beleuchten. Dabei stellen Hoffnung, Vertrauen, Vergebung jeweils Elemente dar, die alle drei Geschichten grundlegend prägen und als Gemeinsamkeit aufweisen, dass sie in der gefühlsträchtigen Weihnachtszeit spielen. Zu eigen ist allen noch eine lockere, realistische Alltagssprache, die sozusagen an markanten Stellen „kein Blatt vor den Mund nimmt“ und die Leser/-innen direkt anspricht, jedoch dennoch die entscheidenden Momente der Liebe, jene Kulminationspunkte von Hoffnung, Vertrauen, Vergebung  in  glühende, strahlende, ergreifende, gefühlvolle Metaphern hüllt.  Aber die Geschichten sind jeweils in unterschiedlichen Erzählstilen gestaltet und haben ihre thematischen Schwerpunkte bei verschiedenen Problemen und Konflikten aus dem Lebensalltag, die spannend erzählt und auf die Spitze getrieben sowie zu ihrem je eigenen Happy End geführt werden. 

In dem mit „Hoffnung“ überschriebenen Roman von Sarah Saxx kämpft als Protagonistin Sophie um eine gemeinsame Zukunft mit ihrem Lebensgefährten Fabian. Ihre auf dieses Ziel gerichtete Hoffnung und Erwartung werden auf eine harte Probe gestellt. Denn ihre Liebe und Partnerbeziehung geraten in die Tretmühle der modernen Arbeits- und Wirtschaftswelt und drohen zermalmt zu werden, als sich Fabian selbstständig macht und sich über alle Maßen in seine Arbeit hinein steigert, sodass er dabei auch Sophie allzu oft vergisst und unglücklich macht. Zwischen Selbstbehauptung und Selbstaufgabe, Stress und Existenznot gerät er in eine überwältigende Abwärtsspirale, während Sophies Zuversicht und Vertrauen immer mehr schwinden. Wie können sie da noch die unheilvolle Entwicklung zum Punkt ohne Umkehr stoppen und zum Marsch ins gemeinsame Glück umlenken?

Annika Bühnemann erzählt in „Vertrauen“ die klassische Geschichte vom armen Mädchen und dem reichen Märchenprinzen erfrischend locker sowie gekonnt in unsere moderne Zeit versetzt. Nach dem bewährten Motto „Gegensätze ziehen sich an“ verstricken sich in eine prickelnde und leidenschaftliche Liebesbeziehung: die bis über den Hals verschuldete Malermeisterin Carolin und der verkappte Millionär Raphael als Mitinhaber eines Imperiums floriender Sprachschulen. Damit daraus etwas Tragendes für eine gemeinsame Zukunft werden kann, sitzen der unglücklich verheiratete Raphael und die von Männern tief enttäuschte Carolin zwar beide in einem kurzzeitig wärmenden Bassin, jedoch ebenfalls in einem Pool, angefüllt mit zwischenmenschlichen Negativerfahrungen . Und über ihrem Annäherungsgeschehen und Zusammenfinden schwebt die ganze Zeit das Damoklesschwert der Problematik, die alles zunichte machen kann: durch Verschweigen der wahren Identität und Lebensumstände zwar eine Nivellierung der trennenden Statusunterschiede vorzutäuschen und eine Chance des Kennenlernens zu erringen, sich aber gleichzeitig der Gefahr des Vertrauensbruches und tiefster Enttäuschung auszusetzen. 

Frieda Lambertis Kurzroman „Vergebnung“ konfrontiert uns mit zwei Menschen, die indes verheiratet sind, sich allerdings zum wahren, unverfälschten Leben zusammen raufen müssen. Patrizia ist an der Seite des politisch  ambitionierten Nikolas der Aufstieg in die Hamburger Gesellschaft gelungen und führt nach außen hin ein beneidenswertes Leben. Doch von der Innenansicht betrachtet, handelt es sich um ein hohles, bedrückendes Dasein – überschattet von der Tragik, keine eigenen Kinder mehr zu bekommen, und kompensiert durch soziales Engagement für repräsentative Zwecke. Patrizia leidet darunter, dass der stressige Politikbetrieb Nikolas gefühlsmäßig von ihr entfremdet, er zu wenig  Verständnis für ihr im Grunde sinnentleertes Dasein aufbringt. Sie gaukelt ihm Zufriedenheit und Dankbarkeit vor, bis sie – damatisch zugespitzt auf das Weihnachtsfest – in Gestalt ihrer Schwester Josefine und deren kleiner Tochter Ida von ihrer unbewältigten Vergangenheit eingeholt wird. Die unmittelbaren Ereignisse erschüttern verfestigte Vorurteile, Heucheleien, Fehleinschätzungen; kann dadurch der Weg für die erlösende Vergebung und in ein unverkrampftes Leben frei werden? 

So bieten uns – Frauen gleichsam wie Männern – die erfahrenen Autorinnen kurzweilige, spannende Unterhaltung jenseits von Krimis mit Mord und Totschlag. Und die anschaulich und mehrdimensional dargestellten Figuren und Personen mit ihren vielschichtigen Sorgen und Nöten sowie in diffizilen Situationen voller Lebensfreude und Glück mögen uns vergnüglich zur Reflexion unseres eigenen Verhaltens animieren.
(vgl. www.annikabuehnemann.com; www.sarahsaxx.com; friedalamberti.wix.com/friedalamberti)   


Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele?
München 2007 – Taschenbuchausgabe 2012
Rezension vom 29.03.2018
                                       
Richard David Precht, moderner Philosoph und erfolgreicher Bestseller-Autor, behandelt im vorliegenden Philosophie-Buch den Sinn unseres Daseins von der menschlichen Abstammung aus dem Tiereich bis zu den neuesten Erkenntnissen gegenwärtiger Hirnforschung und liefert uns auf seiner aufschlussreichen, vielseitigen Erkenntnisreise und Wahrheitssuche eine faszinierende Gesamtschau unter den Aspekten, was wir wissen können, wie wir handeln sollen und worauf wir hoffen dürfen, indem er versiert die wichtigsten Untersuchungs- und Denkergebnisse der maßgeblichen Forscher und Geistesgrößen aller Zeiten vorträgt und kritisch bewertet.

Als Höhepunkt der Abstammungslehre und Evolution weist er die Einsicht nach, dass die enorme Zunahme der Gehirnmasse des Homo sapiens gegenüber den Säugetieren und ersten Primaten nicht allein auf die Anpassung an die veränderte Umwelt zurück zu führen ist, sondern der sprunghafte Prozess unseres rasanten Gehirnwachstums zum größten „Hochleistungscomputer“ als dem kompliziertesten Mechanismus im gesamten Universum bislang ein Mysterium bleibt. Jedoch liegt darin unsere Macht begründet, uns die Erde untertan zu machen und die Welt in ungeheuerem Maße zu verändern. So erweist es sich als interessant, die Funktionen im Gehirn als elektro-chemische Signalübertragung zu entschlüsseln, aber es bleibt weiterhin die unüberwundene Kluft zwischen dem neuronalen Bereich und dem geistigen Bewusstsein bestehen. Precht setzt bei Decartes‘ radikalem Zweifel an: „Ich denke, also bin ich“ als Zweifler vorhanden, woraus sich die Einheit von Geist und Körper ableitet nach dem Motto: Das Gehirn denkt und erzeugt das Ich. Es lassen sich in unserem Leben verschiedene Ichzustände feststellen und doch existiert ein beständiges Ichgefühl unserer Identität. Indes ist im Gehirn kein Areal für das Selbst oder Ich als Willens- und Beurteilungszentrale zu ermitteln. Zwar entwickeln wir ein Selbstkonzept aufgrund unseres Verstandes und unserer Empfindungen, mit unserem Unterbewusstsein, Gedächtnis, unserer Sprache als Erkenntnismittel – dennoch widerlegt das nicht die tradierte Ich-Idee vom „geistigen Supervisor“ des Menschen. 

Über diese Grundzüge dessen, was wir wissen können, hinaus setzt Precht seine philosophische Reise in die moralische Dimension fort, nämlich zu der Frage, wie wir unser Handeln bewerten: Was soll ich tun? Ausgehend von Rousseaus These, der Mensch sei von Natur aus gut, aber die Geselligkeit mache ihn böse, klärt Precht über den Menschen als Gemeinschaftswesen auf: die Lust am Sozialen, die Hilfsbereitschaft und Freude, Gutes zu tun, die Bereitschaft zur Kommunikation mit anderen Menschen als Ausweg aus der eigenen Beschränktheit. Nach Kant zeichnet uns vor allen Wesen die Eigenschaft der Menschenwürde aus, die Fähigkeit zum Gutsein, indem wir Freiheit besitzen und moralisch handeln können. Das verpflichte alle Menschen zur (absoluten) Vorbildrolle als „kategorischem Imperativ“: „Handle stets so, dass die Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ Jedoch keine chemischen Prozesse als solche verursachen Verantwortung, die müssen wir aus der Selbstachtung des Menschen selbst bewirken, indem uns Moralinstinkt und Lebenserfahrung zu ethischem, altruistischem Verhalten für die Gemeinschaft führen, sei es als Bekenntnis zu Gott oder eher als Selbstbelohnung durch Glücks- und Zufriedenheitsgefühle, während die Grenzen unseres ethischen Handelns da liegen, wo sich aus unserem Selbstbestimmungsrecht als Individuum inhumane Folgen für die Gesellschaft ergeben. Unter diesen grundsätzlichen Aspekten der Moral reflektiert Precht das Für und Wider konkreter gesellschaftlicher Probleme.

Der dritte Hauptteil des Werkes ist unter der Fragestellung „Was darf ich hoffen?“ angesiedelt. Hier geht Precht auf die größte aller Vorstellungen ein, nämlich die Existenz Gottes, und setzt sich dezidiert mit den Gottesbeweisen und Gottesgegenbeweisen auseinander. Die Problematik wird auf die Frage zugespitzt, ob die Selbstorganisation der Natur die Welt entstehen ließ und zusammen hält oder ob das Kausalitäts-Prinzip mit Gott als Ursache bzw. Urgrund allen Seins gilt. Prechts kritisch erwogene Antwort lautet: Wir können das wunderbar zusammengesetzte Universum und seine genialen Gesetze sowie mysteriösen Kräfte, die die Konstellationen bewegen, mit unserem begrenzten Verstand nur ansatzweise verstehen. Daher konstruieren wir die Natur stets mit den Mitteln unseres Denkens, sodass die objektive Realität für uns eine selbst erzeugte Wirklichkeit bleibt und es jedem Einzelnen überlassen ist, welchen Platz er dabei Gott einräumen will. Also existiert Gott für uns als subjektives Konstrukt in unserem Bewusstsein. Das konstatierte Immanuel Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ als Vorstellung in unseren Köpfen, die nicht aus der Welt außerhalb unserer Erfahrung stammt, weshalb es im Grunde müßig ist, Gott beweisen zu wollen. Precht setzt die Sinnfrage folglich auf anderer Ebene fort und stellt fest, dass das biologische Konzept der Selbstorganisation im letzten Jahrhundert vom Soziologen Niklas Luhmann aufgenommen und zur Deutung der Funktion sozialer Systeme (auch die Liebe ist als eines aufzufassen) verwendet wurde. Menschen sind zwar als Lebewesen dem biologischen System von Stoff- und Energieumsätzen unterworfen, aber sie sind ebenfalls Sozialsystemen zum Austausch von Kommunikation und Sinn verhaftet und steuern diese durch Erwartungen und Entscheidungen im Handlungsrahmen, z. B. nach dem Prinzip Gerechtigkeit: gleiche Grundfreiheiten und Chancengleichheit. Gerechtigkeit ist auch als eine Grundlage für Glück anzusehen und Precht empfiehlt schließlich Regeln der Glückspsychologie für die Regulierung unserer eigenen Bedürfnisse. Denn für ihn macht am Ende selbstbestimmtes Glück den Sinn des Lebens aus, was bedeutet: Wir müssen uns durch unser eigenes Tun im Rahmen unseres Bewusstseins, unserer Logik, Sprache und Erfahrung selbst verwirklichen und so Erfüllung als Mensch finden sowie unserem Leben einen subjektiven Sinn geben.

Und was ist mit unserem nicht gefundenen, mit wissenschaftlichen Methoden sowie unseren Sinnen nicht erfassbaren Ich, das Precht in seiner noch so umfassenden Analyse nicht „dingfest machen“ kann, weil es offensichtlich keine wissbare Gegenständlichkeit ist? Mit all dem sind im Sinne von Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ die immaterielle Ich-Existenz und ihre logisch notwendige Voraussetzung für unser Sein nicht widerlegt, sondern bleiben theoretisch begründet und wir sind weiterhin berechtigt, an die raum- und zeitlose Beständigkeit unseres Ichs oder die Unsterblichkeit unserer Seele zu glauben.  


Mit Eva Lind + German Tenors + Claudia Hirschfeld
Konzert am 20.10.2013 Theater im Park Bad Oeynhausen (Rezension vom 26.10.2013)

Eva Lind
, eine der beliebtesten und renommiertesten Sopranistinnen der Gegenwart, gebürtige Österreicherin, bekannt aus zahlreichen TV-Sendungen, Duettpartnerin gefeierter Gesangstars wie Luciano Pavarotti, Placido Domingo, José Carreras oder René Kollo auf den größten Bühnen der Welt,
German Tenors, bestehend aus dem Duo Johannes Groß und Luis del Rio seit 1997, gleichfalls weltberühmt und in allen namhaften Konzertsälen sowie musikalischen Fernsehsendungen vertreten,
Claudia Hirschfeld mit ihrem „Open Art Orchester“, Superstar an der elektronischen WERSI-Orgel Louvre GS 1000, seit über 25 Jahren als Solistin und Partnerin bzw. „Orchester“ für Gesangs- und Musiklegenden in der Welt unterwegs,                                            haben sich für eine Tournee zusammen getan und präsentieren gemeinsam die schönsten Melodien aus Klassik, Oper, Operette als „Sternstunden“ der Musik. Ich habe das wunderbare Konzert als hervorragendes Musik-Event am 20.10.2013 im herrlichen Park-Theater in Bad Oeynhausen/Ostwestfalen-Lippe erlebt.

Mit dem Triumphmarsch aus „Aida“ von Verdi eröffnete Claudia Hirschfeld schwungvoll den fantastischen Musikreigen auf ihrer vielseitigen, klangvollen Orgel. Die Tenöre schmetterten „E lucevan le stelle“ von Puccini oder den Gefangenen-Chor aus „Nabucco“ (Verdi) mit ihren voluminösen Stimmen in den Raum. Kontrastreich, aber nicht weniger fulminant setzte Eva Lind, dem Gesang eines Engels gleich, ihre helle Sopranistinnen-Stimme als Habanera aus „Carmen“ von Bizet ein, ließ die „Ode an die Freude“ von Beethoven, den „Frühlingstimmen-Walzer“ von Strauss oder „Ich hätt‘ getanzt heut Nacht“ aus dem Musical von Loewe/Lerner gleichfalls betörend erklingen. In großartigen Soli glänzte Claudia Hirschfeld mit der „Toccata d-moll“ von Bach und dem „Radetzky Marsch“ von Strauss. Neben „Granada“ von Lara, das Luis del Rio mit seiner warmen Tenorstimme in Szene setzte, ließen die Sänger noch andere Stücke von Puccini, Verdi, Donizetti, Cardillo, De Curtis als Ohrenschmaus für das Publikums ertönen. Bezaubernd und anmutig gestalteten Eva Lind und Johannes Groß Lehars „Lippen schweigen“ zum Mitschwingen. Im Schlussakkord präsentierten Sopranistin und Tenöre gemeinsam ein Medley aus dem „Weißen Rößl am Wolfgangsee“ sowie Lehars hinreißendes „Dein ist mein ganzes Herz“, wie immer stimmungsvoll, einfühlsam und kraftvoll begleitet von Claudia Hirschfeld mit ihrer vielfältigen Instrumentalisierung.

Das faszinierte und dankbare Publikum im voll besetzten Haus klaschte begeistert mit und erklatschte sich am Schluss zwei Zugaben. Die Künstler, die alles ohne Mikrofon gesungen haben, gaben ihr Letztes und kamen gar von der Bühne in den Zuschauerraum. Indes konnte man die Aktivisten während des gesamten Konzertes in Großaufnahme auf einer Hintergrundleinwand der Bühne betrachten, sodass man ihnen stets zweifach nahe war, was die gelungene Veranstaltung angenehm abgerundet und zum unvergesslichen Konzerterlebnis beigetragen hat.

http://www.youtube.com/watch?v=h0bDrRCbQpU (Eva Lind/René Kollo/Claudia Hirschfeld mit "Lippen schweigen" von Lehar); http://www.eva-lind.at/ (Homepage von Eva Lind); http://www.youtube.com/watch?v=Vytl2Jt5MZE (Claudia Hirschfeld im Interview und Konzert auf der WERDI-Orgel) 


Dr. med. Rainer Limpinsel: Diabetes heilen in 28 Tagen
Bonn 2012 (Rezension vom 25.05.2013) 

Aufgrund der durchaus sachkundigen Informationen, die das Buch enthält, ist nicht anzunehmen, dass der Autor Dr. med. Rainer Limpinsel den Titel aus Unkenntnis oder mangelnder Differenzierungsfähigkeit gewählt hat. So ist zu vermuten, dass die sensationelle Behauptung, den Diabetes (Typ II) in einem Monat heilen zu können, der Absatzsteigerung dienen soll. Das erweist sich für Diabetiker, die noch nicht genügend aufgeklärt sind, angesichts der Ankündigung Heilserwartungen hegen und auf eine schnelle und gar dauerhafte Errettung aus der unheilbaren Krankheit hoffen, höchst enttäuschend und ärgerlich.

Die Erklärungen, was Diabetes ist, welche Ursachen er hat und welches Ausmaß er annimmt, welche Symptome er aufweist, wie er gemessen sowie mit Tabletten und Insulin behandelt wird, welche Folgeerkrankungen er bewirkt, können für den Neuling aufschlussreich sein, werden indes in der herkömmlichen Diabetes-Schulung bzw. Standardwerken (z. B. aus dem Kirchheim Verlag Mainz) seit eh und je (i. d. R. viel intensiver) vermittelt. Das gilt auch längst für Limpinsels Aufklärung über die günstigen und schädlichen Arten von Kohlehydraten und Fetten und eine entsprechende Ernährungsumstellung bis hin zum Verzicht auf spezielle Diabetiker-Lebensmittel. Gleichfalls gehören körperliche Bewegung, Abbau von Übergewicht und Stressreduktion zu den Grundlagen der tradierten Diabetes-Therapie. Als bereichernde Ergänzung können Limpinsels Ausführungen zum Fasten, seine Sportübungen (5-Minuten-Fitnessprogramm) sowie seine Rezepte für das 28-Tage-Programm mit den schönen Abbildungen veranschlagt werden.

Dass Limpinsel mit seiner rigorosen Abnehmestrategie (20 kg Gewichtsverlust) persönlich Erfolg hatte, das Insulin absetzen konnte und auf Tabletten verzichten kann, ist ebenfalls keine neue Erkenntnis. Das gilt aber nur für Typ II-Diabetiker, die ihre Krankheit durch Übergewicht bekommen haben und deren Bauchspeicheldrüse noch recht funktionstüchtig ist. Hat man seinen Diabetes ererbt und/oder kein Übergewicht, dann kann man mit Limpinsels grundlegender Lebensumstellung, die für die wenigsten in Frage kommen dürfte, je nach individueller Situation lediglich eine geringere Absenkung des Blutzuckerspiegels erreichen und die Therapie moderat anpassen. Aber auch in Limpinsels Fall und vergleichbaren Fällen kann von einer Heilung keine Rede sein, sagt er doch selbst auf S. 45 unter der verheißungsvollen Überschrift „So besiegen Sie Ihren Diabetes“, dass der Diabetes „sofort zurückkehren“ wird, wenn man nach dem 28-Tage-Plan nicht das strikte Ernährungsschema einhält und wieder Gewicht zunimmt. Was er verschweigt oder nicht wahrhaben will: Der Diabetes ist eben nicht geheilt, sondern existiert latent weiter und muss ständig bekämpft werden – wie man weiß mehr oder weniger ausgeprägt in einer fortwährenden Abwärtsspirale. Für aufgeklärte Diabetiker hat das Buch nur eingeschränkten Erkenntnisgewinn und für Nicht-Fastenbereite noch weniger.


Carla Berling: Jesses Maria – Kulturschock (Satiren) Köln 2008
Rezension vom 23.04.2013


Carla Berling, erfolgreiche Kölner Autorin, die aus Bad Oeynhausen stammt, tourt derzeit mit einem humorvollen, unterhaltsamen Lesungsprogramm durch die Republik. Als waschechte Ostwestfälin erlitt sie einst einen wahren Kulturschock, nachdem sie ins Rheinland übergesiedelt war. Als Schriftstellerin verarbeitete die gelernte Journalistin ihre Erlebnisse zu einer Bücher-Trilogie, die an dem bekannten Ausspruch „Jesses Maria!“ orientiert ist. Ihre Bücher heißen: Jesses Maria – Kulturschock, Jesses Maria – Wechseljahre, Jesses Maria – Hochzeitstag. Darüber hinaus schrieb sie – charmant, locker, ernsthaft in der Sache – ihre Autobiografie „Vom Kämpfen und vom Schreiben“. Aber sie verfasste auch einen spannenden Roman bzw. Krimi aus der Welt der Strukturbetriebe („Strukkis“) über brutalen Konkurrenzkampf, Mobbing, Gehirnwäsche mit dem Titel „Die Rattenfänger“. Gleichfalls produzierte die vielseitig Talentierte einen erotischen Roman „Im Netz der Meister“ (2 Bände) über Sadomasochismus (SM). 

Das vorliegende Buch „Jesses Maria – Kulturschock“, das hier besprochen wird, spielte die Hauptrolle in Carla Berlings temperamentvoller, mitreißender, zu Lachtränen rührender Lesung über „ostwestfälische Gemeinheiten“ am 12.04.2012 in Barntrup/Lippe. Auf diese angenehme Art und Weise bin ich zu dem Buch gelangt, das uns mit den amüsanten Begebenheiten und Überlegungen der Maria Jesse in ihrem Alltag vertraut macht, uns vergnügt und erheitert. Dabei ist Maria Jesse eine ganz normale Frau mit gewöhnlichen Ansichten. Sie ist geschieden, erinnert sich noch genau an ihr erstes und ihr letztes Mal, kann viele Geschichten über ihrem „Ex“ namens Manni erzählen. Obwohl sie nicht neugierig ist, will sie alles wissen und gibt ihre Gedanken, die wir im Grunde alle kennen und die uns in den alltäglichen Situationen kommen, als innere Monologe wieder: sei es im Gottesdienst, beim Einzug neuer Nachbarn, auf dem Begräbnis von Onkel Willi, im Theater, auf dem Klassentreffen, aufgrund der Begegnung mit schwulen Männern, bei der Performance von Frau Bitterbös, Vernissage von Maler Bodo Maximus, beim Frisör, in Erinnerung an Hochzeitstage, anlässlich der Konfrontation mit Ehebruch, beim Frauenarzt, angesichts der krankhaften Wehleidigkeit ihres Mannes, bei der Goldhochzeit von Tante und Onkel, beim Musical-Besuch, schließlich bei einer Weinprobe. 

Was die Banalitäten lesenswert, unterhaltsam, belustigend macht, ist die feinsinnige Art, wie Carla Berling die Situationskomik gestaltet, die uns aufheitert und ermuntert: So geht Maria lieber zum Zahnarzt als zum Frauenarzt – obwohl Letzterer nicht bohrt. Oder Marias deftige Interpretation der hochtrabenden Winzer-Worte bei der Weinprobe wie „…rassige Säure, leichter Körper … mit einem harmonischen, runden Körper paart … für einen aromatischen langen Abgang …“ Die verspottende Beschreibung des modernen Bildes als rot gestrichene Wand, wobei dem Betrachter durch Verzicht auf figurative Darstellung keine Interpretations- und Assoziationsmöglichkeiten vorweg genommen werden sollen, und Marias ernüchternder Kommentar: „Der ist ja oberschlau! Der sagt, da ist was zu sehen, das kannst du nicht sehen.“ Nicht zuletzt die pikante Schilderung, wieso Maria von der Musical-Aufführung ohne Unterwäsche nach Hause kommt. 

Dem Buch und den anderen sei also ein breites Leserpublikum gewünscht. Und man sollte möglichst mal live dabei sein, wenn Carla Berling in einer leidenschaftlichen Lesung Maria Jesse verkörpert und schwungvoll aufleben lässt.

Homepage von Carla Berling unter: www.carla-berling.de http://www.amazon.de/Carla-Berling/e/B0048ZVPWU/ref=ntt_athr_dp_pel_pop_1 (Video: Carla Berling liest die Satire "Musical" aus Kulturschock) http://www.youtube.com/watch?v=H0dDjQuczCI (Carla Berling liest Jesses Maria)


Das Phantom der Oper von und mit Deborah Sasson                                               
Das deutschsprachige Meisterwerk mit großem Orchester                                   Aufführung am 01.02.2013 im Theater am Aegi in Hannover Besprechung vom 19.02.2013                                                                                       
Wie dem ausführlichen Programmheft, dem gleich eine CD mit 23 Liedern aus dem Musical beigefügt ist, zu entnehmen, ist Deborah Sasson in Boston/USA geboren und aufgewachsen. Sie hat Musik studiert und mit dem Bachelor am renommierten Oberlin College sowie dem Master am New England Konservatorium abgeschlossen. Damit war aufgrund ihrer Begabung der Grundstein für eine Weltkarriere gelegt. Deborah gastierte in den berühmtesten Meisterwerken wie Mozarts "Zauberflöte" oder Puccinis "Tosca" auf den internationalen Bühnen in New York (Metropolitan Opera, Broadway, Carnegie Hall), San Francisco, Buenos Aires, London, Paris, Venedig oder Tokyo (Suntory Hall). Leonhard Bernstein vermittelte ihr ein Engagement an die Hamburger Staatsoper ("West Side Story") und sie brillierte bei den Wagner Festspielen in Bayreuth. Ihre Konzerttätigkeit ist vielfältig und umfangreich, ihre künstlerische Arbeit reicht von Oper über Musical bis Crossover und Pop; sie wirkt in großen TV-Galas (José Carreras, André Rieu), Open Air-Veranstaltungen, Duo-Programmen (Cliff Richard, Gunther Emmerlich) mit oder gibt Solokonzerte mit ihrem eigenen internationalen Ensemble; sie erhielt mehrfach begehrte Preise (Awards) und Platin für ihre wunderbaren CDs.
Mit dieser Neuinszenierung des „Pahntoms der Oper“ in deutscher, englischer und französischer Sprache hat Deborah Sasson ihr vielseitiges Talent und Können noch um eine wertvolle Facette bereichert: Sie singt und spielt nicht nur die Hauptrolle in dem Stück, sondern sie hat die künstlerische Gesamtleitung inne, hat die Musik komponiert und mit Jochen Sautter (Regie und Choreografie) das Buch geschrieben, während Peter Moss die Musikarrangements besorgt hat. Dieses Opern-Musical hält sich enger an die Roman-Vorlage von Gaston Leroux (1868-1927) als die berühmte Musical-Version von Andrew Lloyd Webber oder sonstige Bühnenbearbeitungen, Filme und Hörspiele.
Schauplatz der Geschichte ist bekanntlich die Pariser Oper (1877 neu errichtet) mit ihrem katakombenartigen Unterbau, in dessen Labyrinth das Phantom namens Erik lebt. Es handelt sich bei ihm um ein musikalisches und technisches Genie, das sich in den Kellergewölben der Oper häuslich eingerichtet hat, und zwar auf der Flucht vor der Verachtung der Menschen wegen seines von Geburt an schwer entstellten, meist unter einer Halbmaske verborgenen Gesichts. Das Faszinierende an dem Werk, das es für Jung und Alt zeitlos macht, ist die Dreiecksliebesbeziehung zwischen dem Phantom, dem Chormädchen Christine und dem Grafen Raoul. Das geniale Phantom unterrichtet Christine unter mysteriösen Umständen, bildet sie zur Solistin und zum gefeierten Opernstar aus. Sie sieht in ihm den „Engel der Musik“, den ihr verstorbener Vater ihr als Gesangslehrer schicken wollte. Davon wusste auch Raoul, der bei Christines berühmtem Vater einst Geigenstunden nahm, als Mäzen der Oper nach Paris zurückkehrt, wo er und Christine sich wieder begegnen und ineinander verlieben. Indes hat sich das Phantom unsterblich in Christine verliebt, entführt sie in seine Unterwelt, woraus Raoul sie retten will, jedoch in die Fänge des Phantoms gerät. Von Christine zurückgewiesen will Erik, das Phantom, dem man ohnehin Mord und Totschlag anlastet, alle töten, sich und Christine mitsamt der Oper in die Luft sprengen. Doch im Augenblick des Glaubens an die Liebe und der Demut besinnt sich Erik und gibt Christine und Raoul für deren gemeinsames Glück frei.

Deborah Sasson spielte mit ihrer wandelbaren, hellen Stimme und anmutigen Erscheinung eine hinreißende Christine, die alle – auf der Bühne wie im Publikum, das immer wieder spontan Applaus spendete – in ihren Bann zog. Auch wenn man noch unvergessene Songs von Lloyd Webber im Ohr hatte, Deborahs Lieder, von ihr und den Anderen eindrucksvoll überwiegend in deutscher Sprache vorgetragen, die hingebungsvollen Duette, nicht zuletzt Deborahs Zugabe als Habanera aus „Carmen“ konnten begeistern. Auch die anderen Rollen und das internationale Orchester waren mit Weltstars besetzt. Besonders hervorgehoben seien der bekannte gebürtige Salzburger Tanz- und Gesangsdarsteller Axel Olzinger, der ein stimmgewaltiges, charismatisches Phantom gab, sowie der ebenfalls international ausgewiesene Jochen Sauter, der einen leidenschaftlichen Comte de Chagny spielte.

Das großartige Bühnenbild zeichnete sich durch eine raffinierte Vorhangtechnik mit besonderen 3-D-Effekten aus: Video-Bilder aus der Pariser Unterwelt wurden nach einem ausgeklügelten System auf halbtransparente Vorhänge projiziert und schufen eine entrückte Kulisse und einzigartige Atmosphäre. Das große Orchester, schwungvoll geleitet von Peter Moss, bot klangvolle Klassik, beschwingende Operettenmelodien und anregende Poparrangements dar, sodass es eine schöne Komposition aus Oper und Musical zugleich war. Man konnte sich, wie im Vorwort des Programms angekündigt, über ein „stimmgewaltiges Entertainment mit Gänsehautfeeling, eine atemberaubende Bühnenshow“ freuen. http://www.youtube.com/watch?v=nUCXlJI9T4Y (Video zum Phantom); http://www.youtube.com/watch?v=lNCgcIHSEZM (Interview zum Phantom)


Deborah Sassons Portrait: Meine Lieblingslieder von Klassik bis Pop
Audio-CD Bensheim/Bergstr. 2003 
(Besprechung vom 04.01.2013)

Deborah Sasson („Debby"): weltberühmte Sopranistin, aus Boston gebürtig und auf den größten Opernbühnen des Erdballs zu Hause, mit dem Klassik-Echo-Award als erfolgreichste Sängerin und Interpretin dieses Genres ausgezeichnet. Sie lebt seit Jahren in Deutschland und erobert gerade mit ihrer musikalischen Neuinszenierung des „Phantoms der Oper“ und als überragende Hauptdarstellerin die Bühnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mit ihrer attraktiven, eleganten Erscheinung, ausdrucksstarken Gestik und Mimik,voller Charme, Natürlichkeit und Schwung meistert sie alle Stilrichtungen par exellence und verleiht jedem Event das ungewöhnliche Ambiente – auf Festivals, im Fernsehen und Rundfunk.

Sie gibt jedoch auch Solokonzerte mit ihrem kleinen internationalen Ensemble und hat – dem Männerchor „Liederkranz Enzen-Hobbensen“ musikalisch verbunden und von einem begeisterten Publikum gefeiert – schon wiederholt ihr künstlerisches Repertoire von der klassischen Oper über Operette und Musical bis Crossover und Pop in meiner Schaumburger Heimat dargeboten, sodass ich ihren Gesang live kennen und schätzen gelernt habe (vgl. ihr Weihnachtskonzert in der Kirche zu Seggebruch bei Bückeburg unter: http://www.sasson.de/download/ds_ps_231212.jpg). 

Bei ihren fulminanten Auftritten fasziniert mich Deborah Sasson vor allem mit ihren leidenschaftlich vorgetragenen Lieblingsliedern, die sie besonders gerne singt – sie liebt die Musik inbrünstig in ihrer ganzen Vielfalt und Breite – und die sie auf der CD zu einem wundervolllen Liederreigen vereinigt. Höhepunkte aus Oper und Operette, Musicals, populäre Walzer, Volkslieder, Evergreens, aktuelle Pop-Songs – ihr Bogen umspannt Highlights wie Moon River, Frühling in Wien, Time, to say Goodby, Ave Maria, The Look of Love, Yesterday, Kinderland, Killing me softly, Don’t cry for me Argentinia, Ave Verum, Die schönste Rose, Tanzen möcht‘ ich, The Power of Love und reiht sie auf eine Perlenkette musikalischer Köstlichkeiten. 

Was macht das Musikereignis zum süchtigen Erlebnis, das andauern und uns weiter betören soll? Es ist ihre wandelbare Stimme mit den Facetten samtiger Wärme, dynamischer Kraft, klangvoller Stärke, reinster Klarheit, die kristallene Höhen erklimmt und uns in traumhafte Welten entführt, dann wieder anbrandend, uns mitreißend mit einer Macht wie das rollende Meer und der Vulkan auf glühender Erde. Das Echo hallt auch vom Tonträger nach.                                       
Homepage von Deborah: http://www.sasson.de; Hörbeispiele von Deborah: http://www.sasson.de/deborah_erlebbar/hoerbeispiele.php   


Gertraud Wagner/Markus Matschkowski: Liebe spür'n
 
Audio-CD Hannover 1995 (Besprechung vom 31.12.2012)
                                                            Zwar nicht taufrisch, doch immer wieder hinreißend: Gertraud Wagner und Markus Matschkowski (heute Marc Masconi) ist ein wunderbares musikalisches Arrangement zum Thema Liebe gelungen.

Die Auswahl der Lieder ist vielfältig und bringt uns das faszinierende Gefühl aller Gefühle aus wechselnden Perspektiven nahe. Das bewirken sowohl die inhaltlichen Facetten als auch die Schwingungen der musikalischen Darbietung, die uns mit einer betörenden Klangwelt umfangen, einen Raum voller Gefühl und Seele zaubern und uns träumerisch in Wehmut, Erinnerung, Nachdenklichkeit sowie gleichsam Zärtlichkeit, Hingabe, Leidenschaft einhüllen und dahinschmelzen lassen. Ergriffen begeben wir uns auf die Suche nach den Clowns, folgen dem Achtzehnjährigen ins Liebesabenteuer, schwelgen in unserem aufgebrachten Gefühl, erleben die Nacht, in der das Leben neu begann, und manch andere Nacht, sagen liebevoll zueinander ja und danke, preisen deine Nähe und wollen nur die Zeit mit dir, sind – was wir sind und haben ein Ziel. Begeistert bis zum Schluss können wir der mal zärtlichen, eindringlichen, ausdrucksvollen und wieder kraftvollen, strahlenden Sopranstimme Gertraud Wagners lauschen und uns mitnehmen lassen.

Die Sängerin der Staatsoper Hannover – „Primadonna der Vielseitigkeit“ – hat mit ihrem künstlerischen Berater und ständigem Pianisten Masconi in dieser CD einmal mehr bewiesen, dass sie über das Mezzo- und Charakterfach hinaus eindrucksvolle Programme mit Pop, Musical und Chanson gestalten kann (was sie auch in entsprechenden Konzerten darbietet). Alle, die Liebe intensiv und hautnah musikalisch spüren wollen – und wer will das nicht? – sollten sich dazu beschwingt von Wagner & Masconi entführen und verführen lassen.                          Gertraud Wagner-Musikprobe: http://www.youtube.com/watch?v=8yjCHmyleO0


Gertrud Höhler: Die Patin – Wie Angela Merkel Deutschland umbaut (Zürich 2012)
Rezension vom 31.10.1012

Welch Glück für uns, dass Frau Prof. Dr. Gertrud Höhler, eloquente Literaturwissenschaftlerin, erfolgreiche Publizistin, renommierte Wirtschafts- und Politikberaterin, einst die verlockenden Angebote aus dem Politikbetrieb ausschlug. So können eingeschworene CDU-Anhänger und Merkel-Vasallen Gertrud Höhlers aufschlussreiches Buch nicht überzeugend als missgünstige Enthüllungsfantasien einer beleidigten Polit-Rivalin abtun. Statt dessen ist Gertrud Höhler befähigt, mit unabhängigem Geist und scharfem Verstand uns eine feinsinnige, wohl begründete Analyse dessen vorzulegen, was Sprache, Verhalten und Handeln der deutschen Regierungschefin Angela Merkel offenbaren. Sie fördert Überraschendes, Fragwürdiges und Gefährliches, politisch Brisantes zutage, das alle Bürger und Politiker in höchstem Maße betrifft, denen die Werte der Demokratie und das Wohl der Menschen am Herzen liegen und die darauf in Zukunft nicht verzichten wollen.

Zunächst beschreibt Höhler eindrucksvoll – stets in ansprechender, bildreicher Sprache –, wie Angela Merkel , die Frau aus dem Osten, „Anderland“ genannt, als „blauäugiges Unschuldslamm“ startet, unauffällig beobachtend als Testfahrerin mit Tarnkappe und Tarnanzug den Westen sowie das Deutschland der Wende erkundet und schließlich zur machthungrigen Wölfin mutiert (S. 17 ff.). Stillschweigend, unerkannt von den sie fördernden CDU-Männern, bei denen sie eher zufällig gelandet ist, gewinnt sie ihre Erfolg versprechenden Überzeugungen: Bindungslosigkeit als Führungsqualität, nämlich Relativismus, Indifferenz in Wertfragen, moralisches Desinteresse, Verzicht auf Bekenntnisse. Das Motto lautet: Alles ist relativ, vorläufig, reversibel, was auch für Werte gilt. Misstrauen und Unberechenbarkeit sind gut, weil sie uns vor denen schützen, die uns durchschauen und beherrschen wollen. Ohne Verpflichtungen und Traditionen, aber mit grenzenloser Flexibilität unterwegs sein, mit persönlichem Machtanspruch als Maxime des eigenen Handelns, dann kann man an den herkömmlichen Mitstreitern und Parteistrategen vorbei ziehen. Diese Erfahrungen und Einsichten hat Merkel ihren Westkollegen voraus, machen sie persönlich mächtig und ermöglichen, dass das einstige „Mädchen“ den Schwarzen Riesen, den Übervater Kohl, vom Thron stößt, „seinen zögernden Söhnen den Vatermord abnimmt“ (S. 22 ff.). Konsequent baut Angela Merkel ihre Machtposition auf, wird Landesvorsitzende, Bundesministerin, Generalsekretärin, Bundesvorsitzende, Kanzlerkandidatin der CDU, Bundeskanzlerin der großen und schwarz-gelben Koalition, führende Krisenmanagerin in Europa (Bildzeitung: „gute Patin Europas“, „Königin von Europa“).

Ausführlich und bei den verschiedenen Anlässen aufgreifend schildert Gertrud Höhler das „System Merkel“ (M), das die Macht der Aufsteigerin begründet und sichert. Es sind folgende Merkmale, die die Merkel-Politik bestimmen: „Marginalisierung der Parteien, Verwechselbarkeit der Programme, Nonchalance im Umgang mit Gesetzen, Aufweichung von Wert- und Normkonzepten, no commitment (keine Verpflichtung, D. P.), Bindungslosigkeit als Zukunftsmotor, zentralistische Allgegenwart von Staat und Plan, Überwindung des Wettbewerbs“ (S. 141). Darauf fußt ihr Konzept der situativen Entscheidungen, das die Flüchtigkeit aller Versprechen sowie eine hohe Verfallsgeschwindigkeit aller Loyalitäten beinhaltet (S. 270). Aus ihrer Sozialisation in der DDR-Diktatur geht Merkel nach dem Seitenwechsel als Überlegene gegenüber ihrer Mannschaft im Westen hervor, indem sie deren Tugenden, die verpflichten und binden, abgeworfen hat: Vertrauen, Verlässlichkeit, Loyalität, Treue, Berechenbarkeit. Sie nimmt für sich als Chefin das Privileg in Anspruch, schwer lesbar zu sein, und verbirgt ihr wahres Gesicht hinter Worthülsen, Gedankenschablonen, Sprachbausteinen, sodass Bundespräsident Gauck sagt, er kann sie nicht erkennen. Gauck hat in demselben Regime mit lauter Leuten in Deckung, Verratenen und Verrätern gelebt, jedoch gegenteilige Konsequenzen für seine Wertordnung gezogen: Er tritt für die Freiheit ein mit unverhülltem Gesicht und unverstellten Absichten, denn er ist kein Machttaktierer und erweist sich als von der Mehrheit der Deutschen akzeptiertes Staatsoberhaupt, jedoch als Antipode zu Merkel, die in seinem lauteren Charakter eine Gefahr für ihre autoritäre Machtpolitik sieht (S. 69-72).

Als wichtige Geschehnisse der Merkel-Politik schlüsselt Höhler vor allem folgende Ereignisse auf: die Ausmerzung der Machtkonkurrenten in der CDU, das Drama der Bundespräsidenten-Wahlen, die europäische Staatsschuldenkrise, den Atomausstieg mit der Energiewende. Für den CDU-internen Machtkampf ist typisch, dass die starken Konkurrenten der Staatschefin gehen (müssen) wie Merz, Koch, Oettinger, Peter Müller, von Beust, Röttgen u. a., während die schwachen und loyalen CDU-Leute grundsätzlich bleiben (dürfen) wie etwa Pofalla, öffentlich untragbar gewordene Kandidaten wie Guttenberg und Wulff sonderentsorgt werden (u. a. durch taktische Vertrauenserklärungen der Kanzlerin in dichter Folge) (S. 147-151). Die Vorgänge bei den Wahlen der Bundespräsidenten Köhler, Wulff und Gauck stellt Höhler als Drama in drei Akten dar, „Päsidentendämmerung“ genannt. Zur Andeutung der fragwürdigen, der Demokratie abträglichen Machenschaften zur Auswahl der Kandidaten und Manipulation der Wahlberechtigten geben wir die metaphorischen Überschriften wieder: „Das Amt als Beute der Politik“, „Nicht nur die Kandidaten, auch das Amt entmachten“, „Das Gauck-Paradox – Unsterbliche Werte, die im Sterben liegen“ (S. 195-230). Laut Höhler hatte Merkel in der Euro-Krise einen taktischen Vorteil, da sie „so wenig Europäerin wie sie Konservative“ ist (S. 91 ff.). Angesichts der drohenden Staatspleiten in Griechenland, Portugal und Irland sowie der enormen Haushaltsdefizite in Spanien und Italien, jedoch der ansteigenden deutschen Konjunktur wurde „Deutschland zum starken Mann Europas“ und Merkel galt als „mächtigste Frau der Welt“. Sie ergriff ihre „neue Rolle als europäische Sparmeisterin“ und erweiterte ihre Macht international, indem die europäische Staatsschuldenkrise verschleiernd zur „Euro-Krise“ umgedeutet wurde und mit Merkel an der Spitze unter Missachtung bestehender EU-Verträge der Euro-Rettungsschirm wiederholt erhöht wurde. Unter den Überschriften „Euro-Rettung: Lizenz zur Rechtsbeugung“ (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität = EFSF), „Merkels <Meisterleistung>: Ein deutscher Maßanzug für Europa“ (permanenter Krisenfonds ESM = Europäischer Stabilitätsmechanismus; Modell der Schuldenbremse), „Keine Zeit für Demokratie: der Europäische Zentralstaat“ (Finanzunion und Fiskalpakt zur Kontrolle; Vereinnahmung der EZB), „Europa am deutschen Gängelband“ (Marktwirtschaft als Planwirtschaft) zeichnet Höhler, die offensichtlich in Finanzen, Wirtschaft, Politik recht sachkundig ist, auf, wie Merkel „ihren Weg zur Staatswirtschaft und zur Einheitspartei auf der europäischen Ebene“ konsequent fortsetzt (S. 93-103).

Der Atomausstieg mit der Energiewende ist Höhlers Paradebeispiel für die Etablierung des Systems M und das Grundmuster für den politischen Umbau Deutschlands zu einem zentralistischen Staat und zieht sich als Leitindiz für die „freibeuterische Machtmentalität“ der Bundeskanzlerin durch das gesamte Buch: „Positionslosigkeit, Werterelativismus und autoritäre Anmaßung“ (S. 104 ff.). Die Mehrheit von CDU/CSU und FDP beschloss 2010 im Bundestag die Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke und brachte damit das Atomausstiegsgesetz der rot-grünen Bundesregierung von 2002 zu Fall. Angesichts bevorstehender Verfassungsklagen und Landtagswahlen nutzte Merkel 2011 den GAU von Fukushima („fast wie ein Geschenk“) zum radikalen Kurswechsel und agierte als „politische Heuschrecke“, indem sie das rot-grüne Alleinstellungsmerkmal des Atomausstiegs erbeutet und drei Tage nach der japanischen Katastrophe aus persönlicher Betroffenheit sich selbst ermächtigt, das Verlängerungsgesetz ihrer eigenen Regierung für drei Monate auszusetzen (Moratorium), obwohl dies nur durch ein nachfolgendes Gesetz rechtens ist. Außerdem wurden nach Höhler noch ein halbes Dutzend anderer Gesetze, unter ihnen Aktienrecht und Verfassungswerte, „einfach vom Tisch gewischt“. Mit der sofortigen Abschaltung von sieben Kernkraftwerken stellte sich die Kanzlerin den Energiekonzernen und der gesamten Wirtschaft „als neue Herrin des Kernsektors der Industriegesellschaft“ (Staatszugriff auf den Energiesektor) vor, ohne dafür eine Rechtsgrundlage zu haben, also außerhalb der Legalität (S. 106, 107). Merkels Wort ist praktisch Gesetz. Da wurde zur Verschleierung und moralischen Rechtfertigung ein juristischer Trick angewendet, nämlich der Rückgriff auf die staatlich gebotene Pflicht zur Gefahrenabwehr („im Zweifel für die Sicherheit“) wurde strapaziert – für Höhler ein Angstargument und eine Irreführung der Menschen, weil die Risiken in Japan und Deutschland aufgrund der nachlässigen japanischen Sicherheitshandhabung nicht vergleichbar seien. Das Atomrestrisiko war für Merkel zum Wahlrestrisiko geworden, der Grüne Kretschmann wurde Ministerpräsident in Baden-Württemberg, die feindliche Übernahme der Ausstiegsidee durch das Moratorium ist fehlgeschlagen. Deshalb wurde als nächster Coup der Kanzlerin die Opposition ins Atomausstiegsboot geholt und SPD und GRÜNE konnten sich der 180°-Energiewende durch eine schnelle Gesetzesnovellierung nicht entziehen. Höhlers Fazit: Die Kanzlerin ist beim Atomausstieg ihrem Politikstil treu geblieben: Unterwanderung der demokratischen Entscheidungsfindung, Täuschung der Bevölkerung über die Beweggründe, Bruch von Versprechen (hier gegenüber der Industrie), Arroganz ihres Führungsanspruchs infolge inhaltlicher Fehler (S. 108-110).

Gertrud Höhler liefert noch zahlreiche interessante Szenarien aus dem System M, die in den Überschriften wie Polit-Possen anklingen: „Ideenleasing im CDU-Themenpark: Merkels Ankündigungsdemokratie“, „Erlkönigin auf der Rüttelstrecke: Testfahrerin Angela im Themenpark der CDU“, „Nicht Sachpolitik, sondern Machtpolitik: Merkels Punktlandung in der parteilosen Mitte“, „Die Leitwölfin der Bindungslosen“, „Atomausstieg: Nebelbomben für das Volk“, „Lautlose Sprengungen im Wertesystem“, „Merkels Geheimnis – Windsbraut oder Windmaschine?“, „Das System M präsentiert: Die unsinkbare Kanzlerin“. In Wahrheit handelt es sich um ernsthafte Beeinträchtigungen unserer demokratischen Verhältnisse, nach Höhler um die „Demokratie im Stresstest“ (S. 233 ff.), die es vor Zerfallserscheinungen zu bewahren gilt.

Am Schluss sagt Gertrud Höhler lediglich: Wir können wählen – zwischen zwei Folgerungen aus Deutschlands Geschichte: der „Selbstermächtigung der deutschen Politik“ (Merkel) und einer „Freiheitmelodie“ (Gauck), die sie seit der letzten Präsidentenwahl übertönt (S. 273). Höhler hat das Buch geschrieben – „für alle, die die Faust noch in der Tasche haben“. Das sollten m. E. zuallererst die getäuschten und enttäuschten CDU-Anhänger, CDU-Politiker, CDU-Mitglieder, CDU-Wähler sein und gleichfalls die SPD- und FDP-Politiker, die das System M mitgetragen haben und auch noch seine Ausbreitung in der zweiten sowie dritten Legislaturperiode ermöglichen – sie sollten zu naheliegenden Konsequenzen motiviert werden und dazu, die Faust aus der Tasche nehmen. Die Oppositionellen und Anti-Merkel-Wähler, die die Fäuste strecken, aus Resignation senken oder vor Ohnmacht in der Tasche behalten, können sich durch Höhlers rückhaltlose, feinmaschige Auklärung und überzeugende Deutung ermutigt fühlen und noch gezielter gegen das System M opponieren. Die Politiker als solche, gleich welcher Farbe und unabhängig vom nächsten Wahlausgang, sollten sich aufgrund der Erkenntnisse einer Koalition unter oder mit Merkel verweigern wie der einstige SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück; als Alternative gäbe es z. B. Ursula von der Leyen. Die Wähler und Bürger überhaupt, nicht zuletzt die „wertebesoffenen Westler von gestern“ (S. 269) sollten zahlreich zur nächsten Wahl gehen und das Demokratie aushöhlende „System Merkel“ mehrheitlich abwählen. Das wäre der schönste Erfolg, den dieses allen empfehlenswerte Buch, das spannende Enthüllungen und ein Spracherlebnis verheißt, meines Erachtens immer noch haben könnte. https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=yzWIFPjet4U (Video: Höhler bei der Vorstellung ihres Buches)


Juli Zeh: NULLZEIT (2. Auflage Frankfurt/M. 2012)                                                                    Rezension vom 12.10.2012                                                         
Juli Zeh, mehrfach preisgekrönte Schriftstellerin, ist mit ihrem neuen Roman „Nullzeit“ ein brillanter Psychothriller gelungen, der die Leser unter ständigem Perspektivwechsel in neue Erwartungsspannungen versetzt und immer wieder in Überraschungen bis zum Schluss stürzt. Dazu lässt die einfallsreiche Autorin ihre mörderische Geschichte mit den skurrilen Figuren im abgelegenen Urlaubsparadies auf Lanzarote und im ungewohnten Tauchermilieu spielen.

Sven hat nach dem juristischen Staatsexamen Deutschland verlassen, um aus einer Gesellschaft auszusteigen, in der ihn das ewige Ein- und Abschätzen sowie Be- und Verurteilen von Allem und Jedem bis zum Geht-nicht-mehr anwidert. So sieht er sein Heil in der Abgeschiedenheit der Vulkaninsel, wo er mit seiner Jugendfreundin Antje eine florierende Tauchschule aufbaut und sich eine neue Welt schafft nach dem Motto: Aus Allem raushalten! Keine Einmischung in fremde Probleme! Das Meeresterrain beim Tauchen bietet dafür mit seiner evolutionär anmutenden Fauna und Flora – stumm und friedlich – das passende Umfeld.

Da brechen Jola, eine exaltierte Soap-Schauspielerin, und ihr Lebensgefährte Theo, abgetakelter Romancier, in Svens Idylle ein und bringen den Krieg, den er aus seinem Aussteigerleben ein für alle Mal verbannen wollte, in seine paradiesische Welt. Aus einem harmlosen Flirt zwischen Jola und Sven entwickelt sich eine verhängnisvolle Dreiecksbeziehung, die alle Fesseln sprengt und die Regeln des menschlichen Zusammenlebens außer Kraft setzt: Wahrheit und Lüge werden verwirrend durcheinander gewirbelt, Täter und Opfer tauschen ihre Plätze, Sven wird vom Zeugen zum Mitschuldigen. Eigentlich ist Jola mit Theo auf die Insel gekommen, weil sie sich auf ihre nächste Filmrolle als Tauchpionierin Lotte Hass vorbereiten und im Tauchen ausbilden lassen will. Aber im Grunde ist dieser Urlaub die letzte Chance für sie, sich aus ihrer selbstzerstörerischen Beziehung zwischen Hassliebe, Gewalt und gegenseitiger Abhängigkeit zu retten. Am Ende findet sich Swen als Teil eines mörderischen Spiels vor, bei dem er von vornherein keine wahre Chance auf eine glückliche Zukunft hatte. Jedoch erfährt er eine Läuterung, insofern er sich spontan einmischt und Theo selbstlos aus höchster Lebensgefahr errettet und „raushalten“ nun für ein hässliches Wort hält. 

Nullzeit ist der Taucherfachbegriff für den Dekompressionszwischenstopp, nämlich die Zeitspanne unter Wasser für ein ungefährliches Auftauchen. Im Roman geht es um die Nullzeit zwischenmenschlicher Beziehung: höchste Annäherung eines Menschen an einen anderen ohne Umkehrung ihrer Lebensläufe, wobei Juli Zeh eindrucksvoll in die Abgründe des Daseins und die Tiefen der Seele leuchtet. Das tut sie in einer eingängigen Sprache und mit schönen Metaphern wie „Das Jetzt und Hier nahm mir den Atem wie eine Last von 1000 bar…Möglicherweise ist Faszination das, was übrig bleibt, wenn man nicht weiß, was man fühlen soll…Nichts sei korrupter als die menschliche Erinnerung.“ Das Leben funktioniert nicht wie ein Kriminalroman und das vorliegende Werk eignet sich weniger für oberflächliche Krimileser, aber für alle, die anspruchsvoll unterhalten werden wollen.  http://www.youtube.com/watch?v=3bHVCAUVoYM (Video: Interview mit Juli Zeh zu "Nullzeit")


Volkmar Herkner (Hg.): Aus dem Nebel der Geschichte – Ein berufspädagogisches Schauspiel (Paderborn 2011)
Rezension vom 08.11.2011 

Das vorliegende Schauspiel ist an der Universität Flensburg in der Seminarveranstaltung „Kultur und Berufspädagogik“ entstanden und zeugt von einer ungewöhnlichen Kreativität der Lehrenden und Studierenden. So erweist es sich als bemerkenswerte Idee, das deutsche Duale System der Berufsausbildung in seiner Entwicklung und Veränderungsmöglichkeit, mit seinen Vor- und Nachteilen als Theaterstück in Form eines Gerichtsprozesses darzustellen und im Rahmen einer szenischen Lesung vor einem Publikum aufzuführen. Mit diesem hochschuldidaktischen Ansatz, Fachkompetenz in größtmöglicher Gestaltungsfreiheit umzusetzen, bewiesen die Akteure Mut und großen Einfallsreichtum und können so mit ihrer fachlichen Examensvorbereitung einem größeren Leserkreis ein zentrales Thema beruflicher Bildung anschaulich erschließen. 

Und zwar wird das Duale System deutscher Berufsausbildung wegen mehrfacher Gesetzesverstöße in einem Jahrhundertprozess vor Gericht angeklagt. Es soll gegen die Grundgesetzartikel zur freien Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, zum Benachteiligungsverbot, zur staatlichen Aufsicht des Schulwesens, zur Freiheit der Berufswahl, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, aber ebenfalls gegen die Paragrafen 1 und 2 des Berufsbildungsgesetzes betreffs beruflicher Qualifizierung und Lernorte verstoßen haben. Während der Staatsanwalt die Anklage mit den Hauptsystemmängeln fachmännisch begründet, preist der Verteidiger das Duale System eher plakativ mit Attributen wie evolutionär, einzigartig, demokratisch, gerecht, modern, leistungsstark, innovativ als beispielloses Erfolgsmodell. Mit einer illustren Zeugenreihe wird eine amüsante, vielseitige, zugleich treffende Beweisaufnahme durchgeführt: Da wird als Erster Adam Smith als Begründer der klassischen, auf Nützlichkeit ausgerichteten Volkswirtschaftslehre vernommen. Als Kontrahent folgt Jean-Jacques Rousseau, der leidenschaftlich für die freie Entfaltung des Menschen ficht. August Bebel, der vom Drechsler-Gesellen zum Parteivorstand und Arbeiterführer aufgestiegen ist und somit das duale Ausbildungssystem persönlich erfahren hat, wird ebenfalls zum Wert von Ausbildung und Berufsschule von Staatsanwalt und Verteidiger vernommen. Als nächster Zeuge ist Georg Kerschensteiner vorgeladen, der als „Vater der Berufsschule“ gilt und durch handlungsorientierte Berufsbildung den brauchbaren Menschen erziehen will, der mit Tugenden der Anpassung fügsam dem Obrigkeitsstaat dienen soll. Ein Loblied auf das duale Ausbildungssystem mit seiner Verbindung von Theorie und Praxis und wohltuenden Unterordnungsfunktion, wobei die Berufsschule allerdings nicht so wichtig sei, singt auch der Zeuge Prof. Dr. Erwin Krause, langjähriger Leiter der „Arbeitsstelle für Betriebliche Berufsausbildung“ (ABB) und einst der nationalsozialistischen Ideologie treu ergeben. Witzig ist, dass diese Zeugen bei der Personeneinvernahme gleich ihr Sterbedatum angeben, wodurch die Entwicklungsgeschichte unterstrichen wird. 

Sodann wird der Angeklagte, das Duale System (als körperlose Stimme symbolisiert), im Zeugenstand vernommen. Es läuft im Wesentlichen auf eine Rechtfertigung der sinnvollen Facharbeiterausbildung für einen Großteil der Heranwachsenden mit der Ermöglichung eines Hochschulzuganges hinaus, während für die Negativauswüchse zur Benachteiligung der Schwächeren in Warteschleifen und Übergangssystemen der Kompetenzmangel der Schulabgänger, also die Defizite der allgemeinen Schulen (s. PISA-Studien) verantwortlich gemacht werden. Statt der Akzeptanz einer Kernreform wird das Berufsbildungsreformgesetz von 2005 mit Optionen der Weiterentwicklung ins Feld geführt. Als Zeugen der Gegenwart treten noch Arbeitgeber und Ausbilder auf und beklagen den angeblich Produktivität mindernden Berufsschulunterricht, indes müssen sie auf Befragung zugeben, dass eine Berufsausbildung Aufstiegschancen schafft. Die Gewerkschaftssekretärin der IG Metall tritt als Zeugin der Anklage auf, weil das System der dualen Berufsausbildung heute nicht mehr funktioniert, insofern die Arbeitgeber zu wenige Ausbildungsplätze anbieten, aber die alternativen schulischen Ausbildungen zu wenig anerkennen – trotz Mitspracherecht der Gewerkschaften als Sozialpartner. Als Zeuge gegen das Duale System sagt gleichfalls ein Lehrer aus, weil es ein Auslese-System ist und die Nichtausgebildeten gesellschaftlich benachteiligt. Außerdem kritisiert er die Unterrepräsentation der Berufsschule und die Nichtanerkennung der schulischen Leistungen durch die IHK, obwohl die Berufsschule eine Kompensationsfunktion für die Betriebe und gesamte Gesellschaft einnimmt. Einen Höhepunkt stellt der Zeugenauftritt des idealtypischen Auszubildenden (im 3. Ausbildungsjahr) dar. Dieser – (als einfallsreicher Gag) scharf auf das Zeugengeld – schildert anschaulich und realistisch, wie sich in einer funktionierenden dualen Ausbildung beim Konstruieren und Fertigen von Toren die Lernorte Betrieb und Berufsschule zum Nutzen aller Beteiligten sinnvoll ergänzen. Der Zeuge Mustafa Ökmen, 1991 in Gelsenkirchen geboren, mit 18 Jahren die Hauptschule abgeschlossen, hat infolge seines Migrationshintergrundes vergeblich an die 100 Bewerbungen geschrieben, um eine Ausbildungsstelle zu ergattern, und illustriert die Grenzen und Fragwürdigkeiten des Dualen Systems. Schließlich bietet die Verteidigung noch Prof. Dr. Gerald Heidegger als Sachverständigen auf, der zur Leistungsfähigkeit des Berufsausbildungssystems befragt wird und auf Unsicherheiten bei den gesellschaftlichen Messgrößen, etwa in Bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung, verweist, sodass er letztlich einen Misserfolg nicht ausschließen kann. Indes tritt er für eine Kombination von Maßnahmen zur Reform des Dualen Systems ein bis hin zur Stärkung schulischer Ausbildungen. In seinem Abschlussplädoyer klagt der Staatsanwalt das Duale System als Einrichtung von gestern an, das Ungerechtigkeit am laufenden Band produziert, zu wenig zur Entwicklung eines mündigen Menschen beiträgt und nicht den Anforderungen von morgen genügt. Demgegenüber beruft sich der Verteidiger auf Tradition und gesellschaftliche Akzeptanz und zieht den Schlüsselbegriff „Qualitative Mindeststandards“ als Ass aus dem Ärmel, womit er den staatlich anerkannten Facharbeiter-Abschluss meint, der das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet und in der ganzen Welt als Synonym für höchste Qualität gesehen wird. Am Ende sprechen sich die Geschworenen bis auf zwei Ausnahmen für eine uneingeschränkte Unterstützung des Dualen Systems aus und der Richter verkündet den Freispruch in sämtlichen Anklagepunkten. 

Mit dem Urteil der Geschworenen muss man nicht einverstanden sein. Doch hat der Prozess Licht ins Dunkel der Berufsbildungsproblematik und Klarheit in die Positionen der berufsbildungspolitischen Akteure gebracht. Der Nebel der Geschichte (und der Dunst vor dem Gerichtssaal) hat sich gelichtet und der Gerichtsreporter sinniert darüber, dass das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen ist und die Verlierer in die Revision gehen könnten. Die Leser oder Zuhörer dürfen sich darüber Gedanken machen, was Wahrheit ist, wie Recht und Gerechtigkeit aufeinandertreffen und ob das Urteil für die Zukunft bestehen kann. Diese inhaltliche Bestandsaufnahme – im Stück facettenreich ausgestaltet und ironisch zugespitzt – verdeutlicht die Perspektivenvielfalt und Mehrschichtigkeit der behandelten Thematik und verweist auf den großen Adressatenkreis der von der Berufsausbildungsfrage mittelbar und direkt Betroffenen, für die das Schauspiel wichtig und interessant dürfte: Ausbildungsaspiranten, Auszubildende, Ausgebildete, Ausbilder, Unternehmer, Gewerkschafter, Lehrer/-innen, Hochschulrepräsentanten, Bildungspolitiker, engagierte Bürger. Darüber hinaus spricht es mit seiner Originalität besonders Studierende, Referendare, in der Lehrerausbildung Tätige an.


Peter Glotz: Die beschleunigte Gesellschaft – Kulturkämpfe im digitalen Kapitalismus (Hamburg 1999)
Rezension vom 22.09.2011

Noch ist die reale Welt – in Europa stärker als in den USA – durchaus vom überlieferten Industrialismus geprägt, während Digitalisierung und Globalisierung, neue Technologien, Vernetzung, Flexibilisierung, Beschleunigung bereits zu einer Verschärfung des Tempos der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse führen und eine grundlegende Veränderung der Marktwirtschaft einleiten. An dieser Übergangsschwelle ist der aufziehende „digitale Kapitalismus“ als Zukunftsszenario zu sehen, das Peter Glotz mit vier treffenden Grundtendenzen für die von der modernen Informationstechnik durchdrungene Ökonomie charakterisiert. 

Und zwar ist die eine Grundströmung als „Dematerialisierung“ zu kennzeichnen: Die informationstechnische Industrie beeinflusst inzwischen als größte Industriebranche der Welt in zunehmendem Maße die Gesellschaft, insofern die wirtschaftliche Tätigkeit statt von der Verwertung von Bodenschätzen, Stoffumwandlungsprozessen und Energie vorrangig von der Informationsverarbeitung getragen wird, sodass sich die hardware-orientierte Industriegesellschaft im Zuge weiterer Miniaturisierung in der Mikroelektronik zur software-bestimmten telematischen Gesellschaft wandelt.

Als wichtigste Grundtendenz der digitalen Gesellschaft erweist sich die „Beschleunigung“: Die Zeitorganisation ist das wichtigste Indiz der Medienwende und Informationswirtschaft. Ein ungeheuerer Geschwindigkeitsimpuls steckt im „Time-Based-Management“, „Simultaneous-Engeneering“, in der Verkürzung der Entwicklungs- und Marktpräsenzzeiten, der Lebenszyklen der Produkte.

Die dritte Grundströmung des digitalen Kapitalismus besteht in der „Dezentralisierung“: An die Stelle des zentralisierten Mediums nach dem hierarchisierten Modell wie dem Computer in Rechenzentren ist der Personal-Computer (PC) als digitaler Integrator der Einzelmedien getreten. Bisherige Insellösungen werden aufgrund von Rückkopplungen durch Vernetzungen ersetzt, sodass Komplexitätsgrenzen für zentrale Steuerung durch dezentrale Entscheidungen und flachere Hierarchien überwunden werden.

Als vierte Grunderscheinung der digitalen Welt benennt Glotz schließlich die „Globalisierung“: Internationale Konkurrenz durch Global Players erodiert die tradierten Wirtschaftsformen; die Macht der Nationalstaaten, die ökonomische und sozio-politische Entwicklung zu steuern, schwindet immer mehr wie z. B. der Verlust der nationalen Zinshoheit. Ob eine internationale Politik zu „Transnationalstaaten“ führt, ist offen; die vorhandene „Global Governance“ ist noch zu dürftig, um die Weltfinanzströme demokratisch zu kontrollieren. Die Kulturdominanz Europas geht zur Neige, kollektive Lebensmuster verlieren ihre Verbindlichkeit, die Individualisierung wächst. Die gehemmte, lokal und regional beschränkte Kommunikation wird entgrenzt und eröffnet die Chance, dass die große Zahl der international vernetzten und potenziell freien Kommunikatoren eine neue, übergreifende Verständigung hervorbringt. 

Dieses Szenario erscheint aufgrund gegenwärtiger Erfahrungen realistisch und nachvollziehbar, hinsichtlich der Konsequenzen, die Glotz ableitet, ist jedoch Skepsis geboten. Er meint, so ungebremst und wenig gesteuert wie bislang läuft die durch die Digitalisierung angestoßene Entwicklung unweigerlich auf eine neue Spaltung der Gesellschaft hinaus: nämlich zu einer Elite, die das hohe Tempo der Veränderung bewusst mitmacht, und zu einer Unterschicht von Verweigerern und Aussteigern, die sich nicht anpassen können und wollen. Die Tendenz geht dahin, dass der Schnelle den Langsamen frisst, dass Kulturkämpfe um die richtige Lebensweise entbrennen, indem die Besonnenen aufbegehren, die Debatte um Beschleunigung und Entschleunigung aufnehmen und sich zu Ökologen erklären. Immerhin gesteht Glotz zu, dass sich dieser „Schaltplan unserer Gesellschaft“ noch ändern lässt, damit wir nicht durch die Kulturindustrie verblöden und uns durch die andauernde Beschleunigung völlig entfremden. Allerdings setzt Glotz dabei m. E. zu optimistisch auf die Gestaltungskraft und Moral des Homo connectus und des Homo oeconomicus in der jungen Generation, die die Zeichen der Zeit eher begreife. Wohin uns die jetzige Elite von Topmanagern und Spitzenpolitikern gebracht hat, erleben wir gerade in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrisensituation. Der Verlauf seit Erscheinen des Buches vor einem Jahrzehnt bestätigt die Evidenz der von Glotz auf empirischer Basis vorgenommenen Analyse. Das Werk verheißt immer noch sinnvollen Erkenntnisgewinn über unsere Welt im digitalen Zeitalter und kann jedem aufgeschlossenen Zeitgenossen, insbesondere solchen mit erhöhter gesellschaftlich-politischer Verantwortung zur Lektüre empfohlen werden. 


Hilka Otte: Prozeduren sozialen Verhaltens – Wie unbewusste Regeln unsere Beziehungen gestalten und behindern (Paderborn 2005)   Rezension vom 29.07.2011 

Der Haupttitel verweist darauf, dass es in dem Buch um Sozial- und Verhaltenswissenschaft geht und insofern in erster Linie Adressaten angesprochen werden, die sich professionell mit der intensiven Kommunikation zwischen Menschen befassen wie Psychotherapeuten, Sozialpädagogen, Verhaltenstrainer, Lehrer. Für sie dürfte interessant und aufschlussreich sein, dass Hilka Otte einen integrativen bzw. interaktionellen Ansatz vertritt, wie er in der modernen Verhaltenstherapie und Tiefenpsychologie Verbreitung findet und inzwischen für das sozial- und erziehungswissenschaftliche Feld charakteristisch ist. So stellt die Autorin interaktionelle Verfahrensweisen als soziale Mega-Prozeduren, interaktive Basis-Prozeduren, typische Narrationen (Muster der erzählenden Selbstdeutung), Konfliktstrukturen und Entscheidungsprozeduren im Kontext neuerer Ergebnisse der Bindungs-, Beziehungs- und Gedächtnisforschung vor. Dies verknüpft sie zudem unkonventionell u. a. mit der Biografieforschung, praktischen Psychotherapie, Gesprächs- und Erzähltheorie.

Daraus ergibt sich, was der Untertitel des Buches signalisiert und was für einen größeren Leserkreis von Bedeutung und Interesse sein dürfte, nämlich zu erkennen und sich klar zu machen, wie unsere alltäglichen Beziehungen funktionieren oder nicht, indem unbewusste Regeln unser Verhalten steuern, fördern und behindern. In dem Sinne dürfen wir beispielsweise hinter die Kulissen von Flirten, Werben und Small Talk schauen, Strategien des Konfliktverstehens und -vernebelns sowie der Rechtfertigung kennenlernen, die Schwierigkeiten des Nein-Sagens durchschauen, Einsichten in die Kunst des Bittens und Dankens, der gelungenen und missratenen Gesprächsführung, des stimmigen Erzählens gewinnen. Daher eignet sich das Buch dazu, die Verständigung in unserer Lebenswelt auf der Beziehungs- und damit auch Inhaltsebene zu verbessern und den täglichen Umgang mit unseren Mitmenschen zu optimieren, zumal zentrale Begriffe in einschlägigen Anmerkungen erläutert sind.  


Wolf-Dietrich Greinert: Realistische Bildung in Deutschand - ihre Geschichte und ihre aktuelle Bedeutung (Hohengehren 2003)        Rezension vom 24.07.2011

In seinem Buch liefert Greinert eine interessante Untersuchung der Soziogenese oder gesellschaftlichen Entwicklung von allgemeiner und beruflicher Bildung, insofern er die deutsche Bildungsgeschichte unkonventionell, nämlich konsequent aus berufspädagogischer Perspektive aufzeigt. Als realistische Bildung bezeichnet Greinert ein Lern- und Qualifikationskonzept, das die Menschen befähigt, Lebenssituationen zu bewältigen und das (im Gegensatz zum neuhumanistischen Bildungsideal) vor allem im Umfeld der Berufsarbeit. Denn gerade dies ist die Stelle, wo für die Mehrheit der Bürger auch heute noch individuelles Handeln in gesellschaftliche und politische Dimensionen hinein reicht. Und da die maßgebliche Weichenstellung zur Eingliederung in die hierarchisch geordnete Berufswelt in der Sekundarstufe II des Bildungswesens erfolgt, bildet die Struktur und Veränderung dieser Schulstufe den Mittelpunkt von Greinerts Analyse.

Infolge der Bildungsexpansion ab Mitte der 1969er Jahre sind etliche Reforminitiativen zur Anpassung des Berufsbildungssystems an zeitgemäße Verhältnisse wie die Neuordnung und Neuschaffung von Ausbildungsberufen ergriffen worden. Allerdings haben die Reformmaßnahmen – vor allem die Einrichtung von Fachhochschulen, Berufsakademien, Fachoberschulen, die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes, die Ausbildereignungsverordnung, das Arbeitsplatzförderungsgesetz oder der Ausbau überbetrieblicher Ausbildungsstätten – die Bildungschancen der Unterprivilegierten und Benachteiligten im Vergleich zum gymnasialen Bildungsweg nicht grundlegend verbessert und den Durchbruch der realistischen Bildung ermöglicht. Als spektakuläre „Reformruinen“ führt Greinert den Zweiten Bildungsweg, die Gesamtschule und das Berufsgrundbildungsjahr auf und selbst mit mächtigem Aufwand inszenierte Reformvorhaben wie den Kollegstufenversuch in Nordrhein-Westfalen und die Errichtung der Berliner Oberstufenzentren reiht er in die Negativbilanz ein.

Als Modernisierungshindernis sieht Greinert hauptsächlich die rechtlich-organisatorische Verfassung unseres Schul- und Hochschulwesens an, weshalb er für eine Systemveränderung eintritt: nämlich die „Verlagerung  der Bildungs- und Wissenschaftsproduktion vom staatlich-hoheitlichen in den gesellschaftlich-marktorientierten Raum“. Schulen und Hochschulen sollen als „vollwertige Rechtspersonen“ selbstständig werden, damit die Fachleute vor Ort kompetent entscheiden können, um den Qualifikationsanforderungen der dritten industriellen Revolution und den akuten Bildungsansprüchen der Bürger durch eine gleichwertige Alternative des Lernens zum gymnasial-akademischen Bildungsgang zu genügen. Indes soll der Staat mit seiner herausgehobenen Machtposition als Gestalter und Garant der erforderlichen Rahmenbedingungen für das neuartige marktorientierte Bildungs- und Wissenschaftssystem fungieren. Das heißt, nach dem föderalen Prinzip der Bundesrepublik hätten die Länder und Kommunen sich auf Aufsichts- und Ordnungsfunktionen für ein dezentrales, eigenverantwortlich arbeitendes Schul- und Hochschulsystem zurückzuziehen und die Finanzierung der pädagogischen und wissenschaftlichen Einrichtungen nach rechts- und sozialstaatlichen Grundsätzen zu gewährleisten.

In meinem Diskussionsbeitrag zu diesem Modell in der „Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik (ZBW)“ 4/2004, S. 591-604 habe ich aufgrund meiner Berufs- und Reformerfahrungen als Berufsschullehrer darauf hingewiesen, dass die Devise nicht zwingend lautet: Marktchancen statt Staatsversagen.  Sondern es besteht gleichfalls die Möglichkeit des Marktversagens, denn im freieren Spiel der Kräfte, Mächte, Interessen auf dem lediglich staatlich kontrollierten Bildungsmarkt bzw. im staatlich geordneten Marktsystem müssen nicht tatsächlich die positiven Erwartungen hinsichtlich einer gerechteren Bildung für alle eintreten. Das Bildungswesen besitzt als gesellschaftliches Subsystem nur eine relative Autonomie, sodass hier Auswirkungen des Sozial- und Wirtschaftssystems durchschlagen wie z. B. der Um- und Rückbau des Sozialstaates oder monopolkapitalistische Tendenzen der Globalisierung. Da ist die Gefahr nicht auszuschließen, dass Humanität und Solidarität doch von den Verwertungsinteressen dominiert werden und Bildung dem Prinzip der Gewinnmaximierung unterliegt. Nach Wolfgang Lempert (in: ZBW 4/2003, S. 618) kommt es auf Folgendes an: Verantwortliches Handeln in Staat, Wirtschaft, Gesellschaft beruht auf moralischer Kompetenz, Sensibilität und Disziplin als Garant des Gemeinnutzens. Wenn Moral, Gerechtigkeitsempfinden, Rechtsbewusstsein, soziales Engagement nachhaltig unser Denken und Handeln leiten würden, dann liefe bereits unser vorhandenes Bildungs- und Berufsbildungssystem sehr viel besser und ließe sich optimieren. In diesem Sinne könnten alle in der Bildung und Ausbildung Tätigen sowie dafür Verantwortlichen durch die Lektüre von Greinerts Werk zu wichtigen Erkenntnissen gelangen und zu persönlichen Konsequenzen motiviert werden.


Margarete Friebe: Das Sonnenbewusstsein – Der Aufstieg des ICH von Alpha bis Omega
Rezension vom 20.07.2011


Die 75-jährige Margarete Friebe, Gründerin der Schweizerischen Friedensstiftung „International White Cross“, Kämpferin für Freiheit, Humanität und Toleranz forscht, schreibt, lehrt und referiert seit vielen Jahren über die ganzheitliche Bildung von Körper, Geist und Seele, um ethisches Denken und Handeln zur Verbesserung der Welt und zum Wohl von Mitmenschen und Natur zu fördern. Der Kern ihres tiefenpsychologischen Wirkens ist das Eintreten für ein ganzheitliches Bewusstsein, für die Einheit von materiellem und geistig-seelischem Sein, für eine Gesellschaft, in der innere Werte und Herzensbildung, Güte, Menschlichkeit, Nächstenliebe, Demut, Ehrfurcht, Achtung, Duldsamkeit ins Zentrum rücken.

Dieses Anliegen bringt sie uns – repräsentativ für ihr Gesamtwerk – m. E. besonders eindrucksvoll und aufschlussreich in ihrem Buch „Das Sonnenbewusstsein: Der Aufstieg des ICH von Alpha bis Omega“ nahe. In einer eindringlichen, metaphorischen Sprache schildert sie, wie wir Menschen in unserer modernen Realität, in der vor allem das Äußere und Messbare zählen und in der wir vor Reizüberflutung in Hektik und Rastlosigkeit versinken, die verzehrende Macht des Egoismus überwinden müssen und wie wir zu unserem eigentlichen Wesen und Ziel unseres Lebens vordringen können. Dieses gipfelt im Sonnen- oder Christus-Bewusstsein, denn die Christus-Flamme steckt in jedem Menschen, in jeder Persönlichkeit als Ausdruck der inkarnierten, individualisierten Gottheit in uns. Dort will uns Margarete Friebe stufenweise und logisch, über die konzentrierte Meditation und Erkenntnis durch die sieben hermeneutischen Prinzipien hinführen, wobei jeder seinen individuellen Weg in Freiheit gehen soll. Dazu muss sich jeder selbst lieben und führen können – damit man nicht um die Akzeptanz und Gunst der Anderen buhlen muss -, selbst denken, entscheiden und die Selbstverantwortung für sich selbst und die Gottheit in uns übernehmen.

So sei  Margarete Friebes Buch die Versuchung wert, sich darauf einzulassen.


http://www.lovelybooks.de/mitglied/dietrich_pukas/rezensionen/ (lovely books) http://www.lovelybooks.de/autor/Dietrich-Pukas/

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http://www.youtube.com/watch?v=qrS-_LyFLf4 (Interview: Gertrud Höhler);        https://www.youtube.com/watch?v=yyS7jqtcAto&feature=player_embedded (Im Dialog: G. Höhler über die "Patin");                                                                        http://www.facebook.com/deborahsasson (Deborah Sasson auf facebook);       https://www.facebook.com/pages/Carla-Berling/413540005348534 (Carla Berling auf facebook);

https://youtu.be/ESbO_Uys3gU (ABBA Album Voyage 2021);